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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0033
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1. Flandern und die vita religiosa | 29

putten nimmt es daher nicht wunder, dass die Gemeinschaft von Saint-Bertin zu
allererst diese beiden Klöster »Reformen« unterzog und damit die ursprünglichen
Bande und Hierarchien zwischen den Klöstern wieder in Erinnerung rief.51 Die
»Reform« flandrischer Klöster ist somit auch vor dem Hintergrund der zwischen-
klösterlichen Beziehungen zu betrachten.52
Die Bezeichnung der flandrischen Klöster als »cluniazensisch« wurde bereits
mehrfach relativiert. Geert Berings betont daher, dass die meisten Abteien sich
nur spirituell, das heißt durch die cluniazensischen Consuetudines, an der burgun-
dischen Abtei orientierten. Nur Saint-Bertin war rechtlich an Cluny gebunden und
versuchte sich seit 1112 wieder aus dem Verband zu lösen. Nach einem mehrere
Jahrzehnte andauernden Konflikt gelang es der Abtei sich 1145 schließlich end-
gültig von Cluny zu trennen.53 Während Sproemberg den Richtungswechsel des
Grafenhauses in der causa Saint-Bertin damit zu erklären suchte, dass die rechtliche
Bindung an Cluny, in der letztlich eine Einflussnahme von außen auf die Belange
der Grafschaft gesehen worden sei, der gräflichen Politik zuwider lief, weist Van-
derputten auf die Folgen dieses schweren Konflikts für die Klöster der Grafschaft
hin, indem er sich mit der zweiten Generation der »Reformer« befasst.54
Eine zweite »cluniazensische Reformwelle« sieht er, wie bereits zuvor Sproem-
berg und Jean-Pierre Gerzaguet, von Anchin ausgehend, das ab den 1130er Jah-
ren die Rolle eines neuen wichtigen »Reformzentrums« einnahm.55 Vanderputten
vermutet, dass Alvisus von Anchin als ehemaliger Mönche von Saint-Bertin die
schwerwiegenden Folgen einer rechtlichen Eingliederung in den cluniazensischen
Klosterverband vor Augen hatte und sich daher für einen spirituellen und orga-
nisatorischen Sonderweg entschieden habe.56 Die »cluniazensische« Lebensweise
Anchins, aber auch aller von dort aus »reformierten« Klöster habe sich, wie mehr-
51 S. Vanderputten, Crises of Cenobitism.
52 In ganz ähnlicher Weise zeigt dies S. Boynton, Shaping Monastic Identity am Beispiel der Abtei von Farfa,
die ebenfalls mit der Annahme des ordo cluniacensis bezweckt, ihre Position gegenüber anderen Klöstern
der Gegend zu stärken.
53 Dazu A. Kohnle, Abt Hugo von Cluny, S. 186-191; D. Poeck, Cluniacensis ecclesia, S. 91-104.
54 H. Sproemberg, Alvisus, S. 91: »Sobald der Graf sicher war, daß die Verbreitung der Klosterreform nicht
verknüpft war mit dem Vordringen eines fremden Einflußes, hat er die Reform sämtlicher flandrischer
Klöster zugelassen und sie mit seinen großen Machtmitteln energisch unterstützt.« S. Vanderputten, A
Time of Great Confusion.
55 H. Sproemberg, Alvisus, S. 117 ordnet »die von Alvisus veranlaßten Klosterreformen nach geogra-
phischen Gesichtspunkten [...]. Es lassen sich danach 3 Gruppen scheiden, Flandern, Cambrai und
endlich am wichtigsten Nordfrankreich«; J. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 185-197; auch A. M.
Helvetius, Aspects de l’influence de Cluny, S. 62 spricht von einem »mouvement de reforme d’Anchin«.
56 S. Vanderputten, A Time of Great Confusion, S. 52: »[...] Alvisus was looking for answers that assimilated
elements front both forms of monastic government: while holding on firmly to the Cluniac core of inter-
nal customs, he allowed himself to be inspired by Bernhard of Clairvaux’s ideals of monastic government
and the Cistercian model of filiations between monasteries.«
 
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