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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0037
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1. Flandern und die vita religiosa | 33

Die Generalkapitel der Kirchenprovinz Reims und ihre Beschlüsse waren in
der Forschung lange Zeit vor allem durch einen berühmten Briefwechsel bekannt:
In einem Schreiben an die versammelten Äbte bekundete der Kardinallegat Mat-
thäus von Albano seinen übergroßen Unmut über die getroffenen Beschlüsse; das
Antwortschreiben der Äbte, das, wie Ceglar zeigen konnte, aus der Feder Wil-
helms von Saint-Thierry stammte, stellte sich den Vorwürfen und argumentierte
gegen sie.70 In diesen beiden Briefen sah die Forschung immer wieder auf pointierte
Weise den Gegensatz zwischen dem alten traditionellen und dem neuen Mönch-
tum ausgedrückt: Matthäus von Albano, der in der älteren Forschung mitunter als
»Erzcluniazenser« bezeichnet wurde, galt als Repräsentant des alten Mönchtums.71
Wilhelm von Saint-Thierry stand dagegen als Freund Bernhards sinnbildlich für das
neue Mönchtum.72
Die Spuren der Generalkapitel der Kirchenprovinz Reims verlieren sich aber be-
reits nach wenigen Jahren und es wird angenommen, dass dieses Vorhaben langfris-
tig gescheitert ist. Ceglar äußert die Vermutung, dass die Generalkapitel ab 1135,
nachdem Wilhelm von Saint-Thierry sein Amt niedergelegt hatte und Zisterzienser-
mönch in Signy geworden war, in eine Führungskrise geraten waren. Ein Brief von
Papst Innozenz II. von 1135 habe auf diese Situation reagiert und versucht, die
Äbte in ihrem Vorhaben zu bestärken.73 Der Ausfall Wilhelms als Führungsperson
war aber nur ein Grund, weshalb die Generalkapitel längerfristig zum Scheitern
verurteilt waren.74 Bereits Berliere bemerkte: »Ces abbes etaient independants les
uns des autres, soumis ä la juridiction ordinaire de l’eveque diocesain [..sans chef
hierarchique, sans code de lois universellement adopte et obligatoire pour tous, sans
70 Zur Autorschaft Wilhelms vgl. S. Ceglar, William of Saint-Thierry, S. 400-407; der Text ist vollständig
ediert in Ders., Guillaume de Saint-Thierry, S. 334-350. Zur Auseinandersetzung zwischen den Äbten
und Matthäus von Albano vgl. auch A. Schmidt, Zusätze als Problem des monastischen Stundengebets.
71 Zu Matthäus von Albano vgl. Petrus Venerabilis, De miraculis libri duo, der in seinem zweiten Buch eine
Lebensbeschreibung seines Freundes liefert; U. Berliere, Le Cardinal Matthieu d’Albano.
72 Zum Verhältnis zwischen Bernhard und Wilhelm vgl. T. Ohse, Eine große Freundschaft. Bernhard von
Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 91, S. 239-241; zum neuen Geist der Äbte vgl. K. Schreiner, Dauer, Nieder-
gang und Erneuerung, S. 328.
73 S. Ceglar, Guillaume de Saint-Thierry, S. 306 weist darauf hin, dass Innozenz II. die Gültigkeit der Be-
schlüsse der Äbte bestätigt; J. P. Gerzaguet, Les chartes de l’abbaye d’Anchin, D 61, S. 157: »Unde etiam
desiderium nostrum est, ut unguentum suavitatis, quod de capite descendit in barbam, penetralia in vestri
cordis infundat, et tarn in sacro conventu dicendi et exequendi quae recta sunt, vobis tribuat facultatem
[...] Proinde quod vestro communi decreto de ordine monastic conservando, et correctione fratrum se-
cundum Regulam B. Benedicti et aliorum sanctorum Patrum regulas, vestra discretion constituet, nos,
auctore Domino, ratum habebimus. Adjicimus ut nullus fratrum vestrorum, post factam in suo monaste-
rio professionem, absque praelati et aliorum fratrum licentia, ad alium locum audeat convolare, nec alicui
liceat eum suscipere vel teuere [...].«
74 Der Weggang Wilhelms ist ansatzweise mit der Überwindung der charismatischen Führung eines Ge-
meinschaft zu vergleichen, vgl. dazu G. Melville, Brückenschlag zur zweiten Generation; Ders., Stephan
von Obazine.
 
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