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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0097
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1. Die Abtei von Saint-Bertin/Sithiu von den Anfängen bis 1100 93

Während des 10. Jahrhunderts unterhielt Saint-Bertin ein enges Verhältnis zur
gräflichen Familie, deren Mitglieder unter anderem diesen Ort als Grablege nutz-
ten.383 Politisch galt das besondere Interesse der Grafen den engen Beziehungen der
Abtei mit England, die sie diplomatisch durchaus nutzbar machten.384
Ende des 10. Jahrhunderts wurde Saint-Bertin durch sein Skriptorium weithin
bekannt. Abt Odbert trug dazu bei, dass die Gemeinschaft ihre ohnehin reichen
Bibliotheksbestände weiter vergrößern konnte, und dehnte durch die Kunst der
Buchmalerei ihren kulturellen Einfluss in der Gegend beträchtlich aus.385
Im 11. Jahrhundert sollte die Gemeinschaft gleich mehrere schwere Krisen
durchleben. Zunächst wurde sie aber erneut einer correctio unterzogen.386 Unter
dem Einfluss Richards von Saint-Vanne und mit der Unterstützung des Grafen rief
der neue Abt Rodericus (1021-1042) vor allem die Befolgung der Benediktregel in
Erinnerung.387 1033 wurde die Gemeinschaft aber nicht nur durch den Brand der
Abteikirche, sondern auch durch eine Seuche schwer heimgesucht.388 Vanderput-
ten weist darauf hin, dass sich in dieser Zeit zudem die Beziehungen zwischen den
großen flandrischen Klöstern und dem Grafenhaus zusehends verschlechterten:389
Für Saint-Bertin ist beispielsweise während des gesamten 11. Jahrhunderts nur ein
einziges Mal nachgewiesen, dass der Graf in einen Konflikt zwischen den Mönchen
und dem Klostervogt eingriff.390 Zudem seien keine nennenswerten Schenkungen
oder Besitzbestätigungen durch die Grafen getätigt worden.391 Das schlechte Ver-
hältnis wird auch darin sichtbar, dass der Graf keinerlei Interesse an den unter Abt
Bovo (1042-1065) wiederentdeckten Reliquien des heiligen Bertinus zeigte und bei

383 Neben Sint-Pieters in Gent war vor allem Saint-Bertin eine wichtige Grablege des Grafenhauses; vgl.
dazu K. H. Krüger, Sithiu/Saint-Bertin als Grablege; G. Declercq, Entre memoire dynastique et repre-
sentation.
384 S. Vanderputten, Canterbury and Flanders.
385 Zu den Handschriften aus der Zeit Odberts vgl. die Studien von A. Boutemy, Un grand enlumineur;
Ders., Encore un manuscrit; Ders., Odbert de Saint-Bertin; G. Lobrichon, Psautier glose d’Otbert;
zusammenfassend K. Uge, Creating the Monastic Past, S. 46-49; zu der Frage, warum Abt Odbert
in der klostereigenen Historiographie (in den Gesta Simons von Saint-Bertin) übergangen wurde vgl.
S. Vanderputten, Individual Experience.
386 Simon, Gesta, I, c. 1, S. 636; zur Krise Saint-Bertins vgl. S. Vanderputten, Monastic Reform as Process,
S. 156-161.
387 Vgl. dazu zuletzt S. Vanderputten, B. Meijns, Realities of Reformist Leadership; S. Vanderputten, Mo-
nastic Reform as Process, S. 113-118.
388 Simon, Gesta, I, c. 2, 4, S. 636-637.
389 S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 269-271.
390 Es handelt sich um den Fall Gerbodos, des Vogtes von Arques (Simon, Gesta, I, c. 13, S. 638-639). Vgl.
dazu S. Vanderputten, Monks, Knights, and the Enactment. Während der Konflikt Gerbodos mit gräf-
licher Hilfe beigelegt werden konnte, berichtet Simon, Gesta, I, c. 19, S. 640 von einem Fall, der durch
ein Wunder des heiligen Bertinus zu Gunsten des Klosters entschieden wurde.
391 S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism, S. 274.
 
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