Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0116
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
112 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

anderer Gemeinschaften beteiligt waren. Damit scheint sich erfüllt zu haben, was
Gräfin Clementia in ihrer Urkunde von 1099 bereits als großen »Reformplan« an-
gekündigt hatte und in der Forschung die Vorstellung einer sich filiationsartig aus-
breitetenden »Reform« von Saint-Bertin beflügelte.480
Besonders interessant ist Lamberts Vorgehen im Falle von Auchy-les-Moines.
Dort habe er nämlich, wie Simon berichtet, einen der in Saint-Bertin lebenden
Cluniazenser namens Odo zum Abt ernannt.481 Dies sei ohne das Wissen des Abtes
von Cluny geschehen und habe zu Verstimmungen geführt. Odo sei jedoch von
Lambert unterstützt worden und, nachdem er in Cluny von den Seinen wieder
gnädig aufgenommen worden war, wieder zurückgeschickt worden, um diese Ge-
meinschaft zu leiten.482
Dieses Beispiel macht deutlich, dass sich Lambert in seinem Handlungsspiel-
raum durch die in Cluny abgelegte Profess nur äußerst bedingt eingeschränkt fühl-
te. Anstatt Rücksprache mit Hugo zu halten, handelte er vielmehr eigenmächtig.
Die Darstellung Simons lässt durchscheinen, dass Lambert ein anderes Verständ-
nis seines Amtes hatte als Hugo. Während letzterer auf die Bindung Lamberts an
Cluny und seinen Abt pochte, schien Lambert sein Amt wie bislang ausüben zu
wollen. Erst als es zum Konflikt um Odo kam, erinnerte er sich an seine Profess und
die daran gebundenen Verpflichtungen und verhielt sich dementsprechend. Insge-
samt deutet dieses Verhalten aber darauf hin, dass Lambert sein Amt als weitgehend
unabhängig von Cluny verstand und er sich nur an seine Profess erinnerte, wenn es
die Situation verlangte. Ein derartiges Verhalten war nur möglich, weil Lambert die
nötige Unterstützung des Grafen, vielleicht auch Anselms von Canterbury, genoß
aber auch weil Cluny und sein Abt in weiter Ferne waren.
Beides sollte sich schon bald ändern: 1109 starben Hugo von Cluny und Anselm
von Canterbury, 1111 folgte ihnen Robert II. im Tode nach. Lambert verlor damit
zwei große Unterstützer und jenen Abt, dem er Gehorsam gelobt hatte. Als schließ-
lich der neue Abt von Cluny, Pontius von Melgueil, Saint-Bertin visitieren wollte,
änderte sich die Situation schlagartig.
480 Vgl. dazu H. Sproemberg, Alvisus, S. 45; M. Breitenstein, De novitiis, S. 16; die Frage nach der sich
filiationsartig ausbreitenden »Reform« von Saint-Bertin wird an anderer Stelle ausführlich behandelt;
siehe unten S. 178-192.
481 Der Abt von Saint-Bertin besaß seit alters her das Recht, den Abt der Gemeinschaft zu ernennen. Vgl.
dazu Simon, Gesta, II, c. 71, S. 649; auf das Verhältnis zwischen Auchy-les-Moines und Saint-Bertin
geht S. Vanderputten, Crisis of Cenobitism ausführlich ein.
482 Simon, Gesta, II, c. 71, S. 649-650: »[...] abbas Lambertus se totum suaque omnia Cluniacensibus
indulgens, ex eis quendam Odonem nomine, virum religiosum, Alciacensi preposuit cenobio. Quod,
quia inconsulto abbate Cluniacensi factum est, non cessisset ei propositum, nisi pro eo abbatis Lamberti
intercesset suffragium. Per quem Cluniaci a suis in gratiam susceptus, ad regendam susceptam aecclesiam
rediit.«
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften