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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0137
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3. Die Veränderungen durch die correctio | 133

gen Disziplin sogar das Kloster verlassen.564 Vieles spricht dafür, dass nun in Saint-
Bertin der ordo cluniacensis oder zumindest eine Ausprägung dieses Ordos Einzug
gehalten hatte: Simon selbst erwähnt, dass Abt Lambert während seines Aufenthalts
in Cluny den dortigen Ordo gelernt habe.565 Die Urkunde Clementias von 1099
betont, dass der Abt nach der regula Benedicti und den sacrae institutiones vestrae
Cluniacensis ecclesiae zu leben habe.566 Und auch eine Urkunde Papst Paschalis’ II.
von 1113 bestimmt, dass in Sithiu weiterhin die religio und disciplina, die man aus
Cluny erhalten habe, auf ewig befolgt werden sollen.567 In Simons Gesta ist allerings
nur an einer Stelle die Rede vom ordo cluniacensis, jedoch nicht im Zusammenhang
mit Saint-Bertin, sondern mit der correctio von Saint-Vaast in Arras.568
Welche konkreten Veränderungen der neue Ordo für die Gemeinschaft von
Saint-Bertin mit sich brachte, hält Simon in seinen Gesta nicht für erwähnenswert.
Er beschränkt sich lediglich darauf, zu betonen, dass wieder nach der Regel gelebt
wurde, strenge Disziplin herrschte, der Gottesdienst nicht zum Erliegen gekom-
men sei - und hebt die Folgen dieser novitas und des fervor religionis hervor, die
dazu geführt hätten, dass zahlreiche Menschen in Saint-Bertin den Mönchshabit
nahmen.569
Auch im übrigen Text findet sich an keiner Stelle ein Hinweis auf die neue Le-
bensweise. Gerade vor dem Hintergrund des Konflikts mit Cluny verwundert dies
sehr, wäre es doch durchaus vorstellbar, dass die von den Cluniazensern mitge-
brachte und propagierte Lebensweise als ein Symbol ihrer Präsenz und Herrschaft
über die bertinianischen Mönche angesehen wurde.570 Nach Simons Darstellung
wurde die Lebensweise in Sithiu aber nie in Frage gestellt oder etwa boykottiert,
wie es aus anderen Klöstern jener Zeit in vergleichbaren Situationen bekannt ist.571

564 Simon, Gesta, c. 67, S. 649: »[...] quibus introductis et regulariter vivere incipientibus, residui qui reman-
serant adeo rigorem disciplinae pertimuerant, [...].«
565 Simon, Gesta, II, c. 65, S. 648: »Ipse vero Cluniaci remansit, professionem fecit, ordinem didicit.« Diese
Aussage deckt sich mit den Beobachtungen Cochelins, wonach das Mönchtum nach dem Prinzip des
docere verbo et exemplo erlernt wurde. VgL dazu I. Cochelin, Community and Customs; Dies., When
Monks Were the Book.
566 A. Bernard, A. Bruel (Hgg.), Recueil des chartes, Bd. 5, S. 838.
567 B. Guerard, Cartulaire, c. 39, S. 251: »Illud itaque religionis ac discipline, quod a Cluniacensi cenobio
suscepistis, perpetua volumus quod vos observantia custodiri.«
568 Simon, Gesta, II, c. 85, S. 652: »Anno igitur dominicae incarnationis 1109 ab Atrebtensibus susceptus est
ordo Cluniacensis.«
569 Zu Letzterem vgl. Simon, Gesta, II, c. 68, S. 649: »Non tarnen Deus destituit hunc locum servitio divino.
[...] Novitas et fervor religionis plurimos incitaverat [...].«
570 Simon, Gesta II, c. 89, S. 653: »Cluniacenses [...] caeterisque principiantes [...].«
571 Zu denken ist hierbei z. B. an den Kapuzenstreit in Saint-Trond: Die Kukulle mit Kapuze ist hier das
Symbol für die cluniazensische »Reform« und wird von einem der Mönche strikt abgelehnt. S. Patzold,
Konflikte im Kloster, S. 200-211.
 
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