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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0208
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204 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

Wehklagen der Brüder und deren Psalmengesang den Geist aus.865 Simon beschreibt
weiter, wie die Brüder den Leichnam pro more herrichteten, um ihn dann in der
Kirche aufzubahren, wo die Vigilien gefeiert wurden. Am folgenden Tag seien die
Bewohner des Burgus, aber auch zahlreiche weltliche und geistliche Würdenträger
nach Sithiu gekommen, man habe die Messe gefeiert, Almosen verteilt und Johan-
nes schließlich beigesetzt.866
Der ausführlichen Darstellung des Ablebens Abt Johannes’ kommt zunächst
eine dokumentarische Funktion zu. Simon stellt dar, wie das Sterben und die Beiset-
zung eines Abtes in Sithiu im Idealfall auszusehen hatten. Ob der hier beschriebene
Ordo nun aber bereits jenen Clunys widerspiegelt oder jenen Sithius, lässt sich
nicht eindeutig ermitteln.867
Simons Bericht zielt darüber hinaus wohl auch auf die Verhaltensweisen dieses
Abtes ab. Neben der Tatsache, dass sich Johannes auf den nahenden Tod vorbe-
reitete und die entsprechenden Schritte in die Wege leiten ließ, hält Simon dessen
Beichte für besonders erwähnenswert, in deren Mittelpunkt erneut die Frage nach
dem Eigenbesitz stand.868 Die Versöhnung der beiden Brüder soll zeigen, dass der
Abt stets zu vermitteln und Frieden zu stiften habe, und hebt schließlich die Ver-
antwortung des Abtes gegenüber seinen Mitbrüdern hervor.869 Umso ruhmvoller
und vorbildlicher war es daher, wenn der Abt sich bis zuletzt um das Seelenheil
seiner Mitbrüder sorgte. Auch dies dürfte eine direkte Anspielung auf Abt Lambert
865 Simon, Gesta, I, c. 38, S. 643: »Oratione peracta, dum levatus assurgeret, vidit astantem quendam e fra-
tribus, alterius fratris iniquitate nuper graviter offensum. Reminiscensque iniuriae fratri a fratre iniuste
illatae offensique animum erga alterum non bene consedisse, illico pedibus eius provolvitur, utque filius
pie fratri indulgeat, pius pater exorat. Nec mora indulta venia quam precatur, circa noctis dominicae
medium anno ab incarnatione Domini 1095, 4. Nonas Martis, nobis flentibus et psallentibus, efflavit
spiritum.«
866 Simon, Gesta, I, c. 38, c. 39, S. 643: »Ablutoque et induto veste sacerdotali pro more corpusculo, lacrimis
hoc deducentibus psalmisque comitantibus, in aecclesia deponitur. Ibique celebratis vigiliarum excubiis
cum luctuosis psalmorum concentibus, subsequenti die omnes pene huius burgi cives indicti conve-
niunt. [...] Peracta ergo missarum frequentatione elemosinarumque distributione et stationaria animae
commendatione, a sacerdotalibus vispilionibus ad tumulum defertur.« Zur commendatio animae vgl.
A. Angenendt, Geschichte der Religiosität, S. 668-669.
867 Die Gewohnheiten von Cluny M. Herrgott, Bernhardi Ordo, c. 24, S. 190-199 kennen ebenfalls die
genannten Etappen, was aber noch lange kein Hinweis auf einen möglichen Einfluss dieses Textes auf
den Ordo von Sithiu zu sein braucht. Simons Text ist für einen genauen Vergleich zu unpräzise. Einen
solchen Versuch unternimmt}. P. Gerzaguet, L’abbaye d’Anchin, S. 159-163 für die Abtei von Anchin.
868 Zum Missstand des Eigenbesitzes in Sithiu in der Zeit um 1100 siehe oben S. 130. Neben dem Eigen-
besitz wird in dieser Passage aber auch auf das Verhalten der Mönche angespielt. So ist die Frage des
Priesters auf die Verdächtigungen der Mitbrüder zurückzuführen. Obwohl man hierin natürlich die
Wachsamkeit der Mönche erblicken kann, hat es doch eher den Anschein, als wollten einige der Brüder
ihren Abt bloßstellen. Um jeden Verdacht von sich zu weisen, antwortete Johannes dem Priester nicht
im Geheimen, sondern offen vor den anwesenden Brüdern und konnte sie von seiner Unschuld über-
zeugen.
869 RB2, 34.
 
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