206 | I. Die Abtei von Saint-Bertin
wegen. Vor allem der Bericht zu Abt Johannes I., aber auch der sicher erst am Ende
verfasste Prolog des ersten Buchs verweisen in vielen Punkten in die Zeit einer
schweren Führungskrise in Saint-Bertin, die mit jener von 1099/1100 gleichzusetzen
ist. Das erste Buch steht somit am Anfang der correctio Abt Lamberts; das schließt
nicht aus, dass später noch Aktualisierungen vorgenommen wurden, wie jene Pas-
sage zum Privileg Papst Victors II. zeigt.
Die immer wieder angeführten Strafen Gottes für die genannten Vergehen der
Brüder sollten neben ihrer abschreckenden Wirkung auf den Leser auch daran er-
innern, dass es die Möglichkeit gab, mittels Buße und Reue wieder auf den rechten
Weg zurückzufinden. Und eben hierfür sollte der Abt die notwendigen Hilfestel-
lungen leisten. Auch dies unterstreicht den programmatischen Charakter dieses
Textes.
4.2.2. Buch II der Gesta abbatum und die correctio
Die Dokumentation der Abtswahl
Simon beginnt sein zweites Buch der Gesta abbatum mit der Wahl Lamberts zum
neuen Abt von Sithiu. Bereits am zweiten Tag nach dem Begräbnis des Abtes
Johannes I. seien die Mönche zusammengekommen, um über dessen Nachfolge
zu beraten. Sie hätten sich im Kapitelsaal niedergelassen, wo ihnen zunächst eine
Passage aus dem Martyrologium und der Benediktregel vorgelesen worden sei, be-
vor ihnen der Prior die Erlaubnis zum Sprechen gegeben habe. Dieser habe sodann
eine Rede an die Brüder gehalten, in der er die Mönche zunächst daran erinnerte,
sich zu bessern, um sie anschließend zur Wahl eines Nachfolgers aufzufordern.871
Er schlug daraufhin drei fähige Kandidaten vor, doch die Brüder seien nicht zu
einer eindeutigen Wahl gekommen. Der Prior habe daher eingegriffen, die Mönche
davor gewarnt, uneins zu sein, und sie dazu angehalten, einen der drei Kandidaten
871 Simon, Gesta, II, c. 1, S. 643-644: »lamque dies secunda planctus et sepulturae defuncti patris, qui-
busdam nostrorum eo usque invisa, nunquam amplius videnda, advenerat, qua, congregatis in unum
fratribus senioribus, ut decebat, cum iunioribus tractandum et decernendum communi erat consilio,
quis potissimum pastor et rector praeponi deberet gregi dominico. Cunctis igitur in capitulo assidentibus
quodque futurum erat suspensis animis expectantibus, post recitatam lectionem martyrologicam cum
subsecuta pronunciatione sancti Benedicti regulae, iamque a priore petita cum benedictione dataque
loquendi licentia, prior praesidens haec prorupit in verba: Quoniam, dulcissimi patres et domini, dira
mortis conditio incumbit filiis Adae a die nativitatis suae usque in diem reversionis in matricem omnium
viventium, aequum est sic ius commune, generale simul et naturale mortis Imperium in vobis et in caris
vestris admittere, quatinus animos vestros hinc ab illecebrosis mundi cupiditatibus refrenet metus mortis
et tribulatio, illinc vero ad speranda pietatis munera omnipotentis Dei revelet gratia et miseratio.«
wegen. Vor allem der Bericht zu Abt Johannes I., aber auch der sicher erst am Ende
verfasste Prolog des ersten Buchs verweisen in vielen Punkten in die Zeit einer
schweren Führungskrise in Saint-Bertin, die mit jener von 1099/1100 gleichzusetzen
ist. Das erste Buch steht somit am Anfang der correctio Abt Lamberts; das schließt
nicht aus, dass später noch Aktualisierungen vorgenommen wurden, wie jene Pas-
sage zum Privileg Papst Victors II. zeigt.
Die immer wieder angeführten Strafen Gottes für die genannten Vergehen der
Brüder sollten neben ihrer abschreckenden Wirkung auf den Leser auch daran er-
innern, dass es die Möglichkeit gab, mittels Buße und Reue wieder auf den rechten
Weg zurückzufinden. Und eben hierfür sollte der Abt die notwendigen Hilfestel-
lungen leisten. Auch dies unterstreicht den programmatischen Charakter dieses
Textes.
4.2.2. Buch II der Gesta abbatum und die correctio
Die Dokumentation der Abtswahl
Simon beginnt sein zweites Buch der Gesta abbatum mit der Wahl Lamberts zum
neuen Abt von Sithiu. Bereits am zweiten Tag nach dem Begräbnis des Abtes
Johannes I. seien die Mönche zusammengekommen, um über dessen Nachfolge
zu beraten. Sie hätten sich im Kapitelsaal niedergelassen, wo ihnen zunächst eine
Passage aus dem Martyrologium und der Benediktregel vorgelesen worden sei, be-
vor ihnen der Prior die Erlaubnis zum Sprechen gegeben habe. Dieser habe sodann
eine Rede an die Brüder gehalten, in der er die Mönche zunächst daran erinnerte,
sich zu bessern, um sie anschließend zur Wahl eines Nachfolgers aufzufordern.871
Er schlug daraufhin drei fähige Kandidaten vor, doch die Brüder seien nicht zu
einer eindeutigen Wahl gekommen. Der Prior habe daher eingegriffen, die Mönche
davor gewarnt, uneins zu sein, und sie dazu angehalten, einen der drei Kandidaten
871 Simon, Gesta, II, c. 1, S. 643-644: »lamque dies secunda planctus et sepulturae defuncti patris, qui-
busdam nostrorum eo usque invisa, nunquam amplius videnda, advenerat, qua, congregatis in unum
fratribus senioribus, ut decebat, cum iunioribus tractandum et decernendum communi erat consilio,
quis potissimum pastor et rector praeponi deberet gregi dominico. Cunctis igitur in capitulo assidentibus
quodque futurum erat suspensis animis expectantibus, post recitatam lectionem martyrologicam cum
subsecuta pronunciatione sancti Benedicti regulae, iamque a priore petita cum benedictione dataque
loquendi licentia, prior praesidens haec prorupit in verba: Quoniam, dulcissimi patres et domini, dira
mortis conditio incumbit filiis Adae a die nativitatis suae usque in diem reversionis in matricem omnium
viventium, aequum est sic ius commune, generale simul et naturale mortis Imperium in vobis et in caris
vestris admittere, quatinus animos vestros hinc ab illecebrosis mundi cupiditatibus refrenet metus mortis
et tribulatio, illinc vero ad speranda pietatis munera omnipotentis Dei revelet gratia et miseratio.«