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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0212
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208 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

In diesen Kapiteln zeichnet Simon auffallend detailliert die Wahl Abt Lamberts
nach. Dabei geht es ihm zunächst darum, die genauen Umstände der Abtswahl zu
dokumentieren. Da er der jüngste von drei Kandidaten und seine Wahl anfangs alles
andere als einmütig war, legte der Chronist umso größeren Wert darauf, die einzel-
nen Schritte zu beschreiben und Lamberts Abbatiat zu legitimieren.877 Besondere
Legitimität erhält die Wahl Lamberts zudem dadurch, dass sie auf einen Mönch
gefallen war, der sich durch seine Tugenden, insbesondere die Demut, hervortat.
Aber auch die Mönche übten sich zu jener Zeit in Demut und Respekt. Sie gingen
ihrem neuen Abt entgegen, verehrten ihn mit dem Friedenskuss und erkannten ihn
als ihren Herrn und Abt an.
Die genannten Kapitel kommen zugleich einer detailgetreuen Dokumentation
der Wahl und Einsetzung eines neuen Abtes von Sithiu gleich. Simon weist den
Leser hierauf explizit hin und beteuert, es möge ihn niemand dafür kritisieren, dass
er so lange über Lamberts Zeit als Prior, seine Wahl und seine Weihe berichtet
habe. All dies habe er vielmehr zum Nutzen zusammengestellt. Er hinterlasse der
nachfolgenden Generation den ganzen Ordo der Abtswahl zum Einhalten und zur
Information. In Sithiu sollen viele fähige Männer heranwachsen, die für dieses Amt
würdig sind, und es solle diesem Ort niemand vorgesetzt werden, es sei denn, die
Wahl der Brüder bestimme dies. Dies soll nicht durch die Befolgung und Autorität
fremder Gewohnheiten geschehen, sondern allein durch die Zustimmung der Brü-
der. Die Weihe und Investitur sollten, wenn möglich, vom Bischof von Therouanne
vorgenommen werden.878
Die Tatsache, dass Simon explizit auf die dokumentarische Funktion der vor-
herigen Kapitel hinweist und die zentralen Punkte der Abtswahl und -einsetzung
noch einmal zusammenfasst, lassen ihren großen Stellenwert erkennen. In dieser
Dokumentation findet letztlich die wiedererlangte Freiheit Saint-Bertins ihren kla-
ren Ausdruck, war doch eben die Besetzung des Abtsstuhls durch die Übertra-
gungsurkunden von 1099/1101 und die correctio der Gemeinschaft in Frage gestellt

877 Die Rechtmäßigkeit der Wahl Lamberts dürfte immer wieder in Frage gestellt worden sein. Zunächst
durch jene Mönche, die Lambert den Gehorsam verweigern wollten, als sie erfuhren, dass er in Cluny
war. Später dürfte die Frage um die rechte Wahl auch im Kontext des Konflikts mit Cluny eine nicht
unbedeutende Rolle gespielt haben.
878 Simon, Gesta, II, c. 6, S. 645: »Haec de illius priori conversatione, electione simul et consecratione nemo
me, dixisse inutiliter calumnietur, sed certe utilitatis gratia me cuncta congessisse equanimiter credat,
ut scilicet omnem ordinem eligendi abbatis posteris relinquerem tenendum simulque panderem, huic
Sithiensi coenobio non paucos non parvae probitatis viros inolevisse raroque tales qui omni essent digni
honore defuisse, nullumque huic loco proponendum fore, nisi quem secundum timorem Dei electio
fratrum poposcerit, et quem nulla alia consuetudinali rectitudine vel potencia, sed solo assensu prefici-
entium decreverit, seu quem episcopus Taruanensis, si in promptu fuerit, a se consecratum et pastorali
virga insignitum in throno cardinali collocaverit.«
 
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