Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0254
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
250 | II. Die Abtei von Marchiennes

sollst wissen, dass all dies der heiligen Rictrud gehört hat und was davon übrig
blieb, gehört, wie bewiesen ist, ihr.«1046
Die Histoire-Polyptyque richtet ihren Blick nun auf das in der Nähe gelegene
ehemalige Priorat von Hamage. Dieser locus amoenus sei bereits von den Vorgän-
gern als paradiesischer Ort beschrieben worden, an dem sowohl Männer als auch
Frauen Gott dienten und reiche »Ernte« einbrachten. Zu ihnen zählten die Heiligen
Amatus, Maurontus, Gertrud und Eusebia.1047 Auch wenn der Ort aufgrund der
Nachlässigkeit der Verantwortlichen schließlich verlassen wurde,1048 habe er seine
Heiligkeit bewahrt. Dies bezeuge die Aussage eines glaubwürdigen Priestermönchs,
der eines Nachts in einem Boot an der verlassenen, aber hell erleuchteten Kirche
von Hamage vorbei gefahren sei und einen angenehmen Duft verspürt habe.1049
Die Gemeinschaft von Hamage sei nach dem Tod Gertruds von Eusebia geleitet
worden, die wiederum nach ihrem Tod in einer eigens erbauten Kapelle begraben
wurde und dort zahlreiche Wunder gewirkt habe, die bedauernswerter Weise nie
aufgeschrieben wurden.1050 Da über die elevatio ihrer Reliquien und deren Trans-
lation nach Marchiennes nichts bekannt sei, übergeht der Verfasser diese Stationen.
Stattdessen berichtet er abschließend von einem alten Brauch, wonach sich jedes
Jahr einige Mönche aus Marchiennes am Vorabend des Festes der heiligen Eusebia
mit deren Reliquien nach Hamage begaben, um dort die entsprechenden Gebets-
zeiten und Nachtwachen zu halten. Am darauffolgenden Tag seien der Abt und der
Rest der Gemeinschaft nachgefolgt, man habe gemeinsam Gottesdienst gehalten
und sei schließlich wieder nach Marchiennes zurückgekehrt.1051
Der Bericht über Hamage ist auffallend lang und nimmt einen offensichtlich
wichtigen Platz in diesem Text ein. Sein vordergründiges Ziel ist es, Anspruch auf
diesen dem Kloster verlorengegangenen Ort zu erheben. Dabei folgt der Text einem
klaren Argumentationsmuster: Zunächst wird die enge Verbindung zwischen Mar-
chiennes und Hamage durch die verwandtschaftlichen Beziehungen der Akteure
deutlich gemacht und zugleich auf deren lange Tradition verwiesen. Hamage ist der
Ort der heiligen Eusebia, der Tochter Rictruds und somit im übertragenen Sinne ein
Tochterkloster von Marchiennes. Zudem war und ist es weiterhin ein heiliger Ort
1046 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, §39, S. 90: »Quid intet h§c animadvertis, quid, inquam, censes,
hujus opusculi lector, opidulorum, viculorum villarumque proportiones significare? Noveris utique
domin§ Rictrudis generaliter quondam Universa fuisse, unde h§c residua sibi particulariter adhuc con-
probantur esse.«
1047 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 8, S. 71-72.
1048 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 10, S. 73-74.
1049 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 11, S. 74. Dieselbe Geschichte findet sich auch in den Miracula
Sanctae Eusebiae, c. 1, S. 458D-458E.
1050 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 13, S. 75-76.
1051 B. Delmaire, L’histoire-polyptyque, § 14, S. 76-77.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften