Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0314
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
310 | II. Die Abtei von Marchiennes

horsams, in dem die religio befolgt wurde. Nach Galberts Vorstellung war damit
das ursprüngliche und ideale Verhältnis zwischen der Patronin und ihrem Kloster
wiederhergestellt.
Die Mirakelsammlung sollte dem Leser zur Mahnung, aber auch zum Trost die-
nen und veranschaulichen, dass alle Ungerechtigkeiten gegen die Heilige letztlich
von Gott bestraft wurden: Vor allem das zweite Buch der Miracula widmet sich
den zum Teil furchtbaren Strafen, die all jenen widerfuhren, die sich gegenüber der
Heiligen und ihrem Kloster ungerecht verhalten hatten.1252 Die Ungerechtigkeiten
beschränken sich aber nicht nur auf die temporalia des Klosters, sondern auch ganz
klar auf die Lebensweise der Mönche. Galberts Text zeigt deutlich, dass Rictrud
besondere Sorge um das Seelenheil ihrer Mönche trug. Ihre correctio war somit zen-
trales Anliegen der Patronin, wodurch Abt Amand eine äußerst mächtige Helferin
zur Seite gestellt bekam. Dadurch erhielt seine correctio nicht nur einen besonderen
Auftrag, sondern auch eine zusätzliche Legitimierung.
In Galberts Erzählung folgt nun eine ganze Reihe von Wundern, die sich im
Zuge der Wiederherstellung des Klosters ereignet haben sollen. Er beginnt mit der
wundersamen Heilung des bereits bekannten Bruders Fulchard, der nachdem die
irdische Medizin ihm nicht geholfen hatte, Hilfe bei der Heiligen gefunden habe.1253
Interessant ist hierbei besonders eine Stelle, an der Galbert seine Leser, nämlich die
Brüder, anspricht und auffordert, das Gesagte gut im Gedächtnis zu behalten.1254 So
sollten sie, genauso wie dieser Bruder, voll und ganz auf die Heilige vertrauen, zu
ihr beten und sich dann ganz den spiritualia Opera hingeben.1255
Noch weit belehrender und mahnender ist aber sicher das Beispiel Bruder Wil-
helms, eines Priestermönchs der Gemeinschaft. Eines Nachts habe er nach der
Komplet den Drang der Natur verspürt und sei deswegen schnellen Schrittes durch
das Kloster geeilt.1256 Da es besonders dunkel war und er kein Licht gemacht hatte,
habe dieser Mönch ein großes Loch im Boden übersehen. Er stürzte daher in dieses
Loch durch die Decke des darunter liegenden Kapitelsaals und kam an dem Ort auf,
1252 H. Platelle, Crime et chätiment.
1253 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 128E-129A.
1254 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 129A: »Tenete, Fratres, quod breviter dico, tenete; memorialiter conservate,
quaeso, mirabilia Dei.«
1255 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 129A: »Praefatus igitur Frater, dum ferme usque ad mortem inguinis
dissolutione praegravaretur, atque de ejus salute omnino desperaretur; accessit, petiit, pulsavit aures
B. Rictrudis;[...] Pro qua insperata & totaliter indepta, continuo debitas laudes & gratias, licet nondum
publice, Deo & sanctissimae Dei famulae referre non cessans, ad spiritualia deinceps opera majori in-
stantia sese totum accinxit.«
1256 Galbert, Miracula, I, c. 3, S. 130C: »Contigit vero quemdam Fratrem, nomine Guilielmum, sacris alta-
ribus, utpote Levitam, ascitum & assumptum; ad quaelibet claustralia satis agilem, ipsique operi de quo
agitur maxime industrium, veile pertransire, post Completam, eumdem limitem malignum, angustum
& obscurum, nec aliqua lucerna condensas tenebras detersum.«
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften