5. Die zeitgenössischen Texte als Überreste der correctio | 313
rechten Weg zu sein, doch sein Weg hätte ihn nicht zum Heil, sondern ins Verder-
ben geführt. Der Abgrund, in den er stürzte, darf als Scheidepunkt angesehen wer-
den, an dem über sein Schicksal entschieden wurde.1267 Bereits die Stelle, an der das
Unglück geschieht, ist hierbei von größter Symbolkraft: Wilhelm landet dort, wo
für gewöhnlich nachlässige Mönche zurecht gewiesen wurden. Dementsprechend
war sein Unfall, der letztlich ein gutes Ende nahm, nichts anderes als eine fromme
Zurechtweisung, die auf die correctio des Bruders abzielte. Das große Vergehen, das
bereits die helfenden Brüder als Grund für diesen Unfall vermuteten, wird von Gal-
bert klar benannt: Es ist die Unaufmerksamkeit im Gottesdienst. Wilhelm habe sich
nicht voll und ganz dem Gebet gewidmet, sondern mit Zeichen kommuniziert. Mit
seinem Verhalten erfüllte er seine Aufgabe als Mönch nicht mit dem gebührenden
Ernst und der notwendigen Würde. Gott und die heilige Rictrud haben ihn daher
auf seinem falschen Weg aufgehalten, und nachdem er gezüchtigt und zurechtge-
wiesen worden war, wieder auf den rechten Weg geführt.
Diese Geschichte zielt also letztlich darauf ab, den Leser daran zu erinnern, dass
es nicht allein auf den frommen Anschein, auf den homo exterior, ankam, sondern
auf die rechte Gesinnung: Jeder Mönch sollte daher ein ehrliches, überzeugtes und
würdiges Klosterleben führen und sich damit voll und ganz in den Dienst der hei-
ligen Rictrud stellen. Galbert bemerkt hierzu abschließend, dass im Volk die Mei-
nung aufgekommen sei, dass die Heilige von Marchiennes all jene bei Stürzen rette-
te, die ihr dienten. Daher seien die Menschen zu Haufe zum Kloster geeilt, um bei
den Bauarbeiten zu helfen und sich damit in den Dienst der Heiligen zu stellen.1268
5.2.2. Galbert und die »Diener der heiligen Rictrud«
Im Zusammenhang mit dem Bau des Dormitoriums erinnert Galbert an einen
Handwerker namens Rainer, der auf dem Gerüst gearbeitet habe, aus Unachtsam-
keit gestolpert und schließlich vom Gerüst gefallen sei, sich dabei aber wie durch
1267 Galbert bemerkt, dass dort die heilige Rictrud und das Schicksal miteinander rangen: Galbert, Miracula
I, c. 3, S 130D: »Pugnabant igitur fata & B. Rictrudis digna suffragia.«
1268 Galbert, Miracula, I, c. 4, S. 130F-131A: »Jam vehementem minusculae existimationem plebeculae
erga venerationem beat§ Rictrudis quantam tarn putares, quantique penderes, cum audita insignium
& talium factorum recenti fama, videres pro posse deferre tegulas, lateres, calcem, saburram, lapides,
ac invicem semetipsos in his simplicibus verbis exhortantes, Eamus, eamus; S. Rictrudis liberat a malis
omnibus sibi deservientes, quae nec sinit suos operarios vel artifices in casibus suis ad mortem fieri
praecipites. Ab hujus itaque famae, quasi aeris candentis scintilla demigrante, parcus primitus & infre-
quens cultor, usque ad primores, quisque jam congratulabatur, B. Rictrudis limina terere, seque suaque
suis suorumque religiosis deprecationibus salubriter committere. «
rechten Weg zu sein, doch sein Weg hätte ihn nicht zum Heil, sondern ins Verder-
ben geführt. Der Abgrund, in den er stürzte, darf als Scheidepunkt angesehen wer-
den, an dem über sein Schicksal entschieden wurde.1267 Bereits die Stelle, an der das
Unglück geschieht, ist hierbei von größter Symbolkraft: Wilhelm landet dort, wo
für gewöhnlich nachlässige Mönche zurecht gewiesen wurden. Dementsprechend
war sein Unfall, der letztlich ein gutes Ende nahm, nichts anderes als eine fromme
Zurechtweisung, die auf die correctio des Bruders abzielte. Das große Vergehen, das
bereits die helfenden Brüder als Grund für diesen Unfall vermuteten, wird von Gal-
bert klar benannt: Es ist die Unaufmerksamkeit im Gottesdienst. Wilhelm habe sich
nicht voll und ganz dem Gebet gewidmet, sondern mit Zeichen kommuniziert. Mit
seinem Verhalten erfüllte er seine Aufgabe als Mönch nicht mit dem gebührenden
Ernst und der notwendigen Würde. Gott und die heilige Rictrud haben ihn daher
auf seinem falschen Weg aufgehalten, und nachdem er gezüchtigt und zurechtge-
wiesen worden war, wieder auf den rechten Weg geführt.
Diese Geschichte zielt also letztlich darauf ab, den Leser daran zu erinnern, dass
es nicht allein auf den frommen Anschein, auf den homo exterior, ankam, sondern
auf die rechte Gesinnung: Jeder Mönch sollte daher ein ehrliches, überzeugtes und
würdiges Klosterleben führen und sich damit voll und ganz in den Dienst der hei-
ligen Rictrud stellen. Galbert bemerkt hierzu abschließend, dass im Volk die Mei-
nung aufgekommen sei, dass die Heilige von Marchiennes all jene bei Stürzen rette-
te, die ihr dienten. Daher seien die Menschen zu Haufe zum Kloster geeilt, um bei
den Bauarbeiten zu helfen und sich damit in den Dienst der Heiligen zu stellen.1268
5.2.2. Galbert und die »Diener der heiligen Rictrud«
Im Zusammenhang mit dem Bau des Dormitoriums erinnert Galbert an einen
Handwerker namens Rainer, der auf dem Gerüst gearbeitet habe, aus Unachtsam-
keit gestolpert und schließlich vom Gerüst gefallen sei, sich dabei aber wie durch
1267 Galbert bemerkt, dass dort die heilige Rictrud und das Schicksal miteinander rangen: Galbert, Miracula
I, c. 3, S 130D: »Pugnabant igitur fata & B. Rictrudis digna suffragia.«
1268 Galbert, Miracula, I, c. 4, S. 130F-131A: »Jam vehementem minusculae existimationem plebeculae
erga venerationem beat§ Rictrudis quantam tarn putares, quantique penderes, cum audita insignium
& talium factorum recenti fama, videres pro posse deferre tegulas, lateres, calcem, saburram, lapides,
ac invicem semetipsos in his simplicibus verbis exhortantes, Eamus, eamus; S. Rictrudis liberat a malis
omnibus sibi deservientes, quae nec sinit suos operarios vel artifices in casibus suis ad mortem fieri
praecipites. Ab hujus itaque famae, quasi aeris candentis scintilla demigrante, parcus primitus & infre-
quens cultor, usque ad primores, quisque jam congratulabatur, B. Rictrudis limina terere, seque suaque
suis suorumque religiosis deprecationibus salubriter committere. «