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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0330
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326 | II. Die Abtei von Marchiennes

Es bedarf vielmehr eines weit offeneren Modells, das dieser Vielfalt von Beziehun-
gen besser Rechnung trägt.
Die correctio von Marchiennes lässt sich durch die Überlieferung zahlreicher
sehr zeitnaher Texte besonders gut fassen. Die Histoire-Polyptyque war das erste
Werk, das Amand nach seinem Amtsantritt in Auftrag gab und spiegelt zugleich
wider, dass die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Gemeinschaft das pri-
märe Ziel seiner Politik war. Der Text sollte mit seinem ersten Teil zudem Identi-
tät stiften. Die Krise von 1127/28 bewirkte schließlich, dass eine ganze Reihe von
Texten entstand. Sie reagierten zum einen auf den spezifischen Kontext: Mit Straf-
wundern und Heilungswundern versuchte Galbert, Marchiennes zu einem heiligen
Ort zu stilisieren und damit letztlich die Moral der Brüder zu stärken. Diese Texte
unterstützten zugleich aber die innere correctio der Gemeinschaft, indem sie ver-
schiedene Modelle des Mönchseins entwarfen und mit exempelartigen Geschich-
ten dem Leser vor Augen führten, wie ein gottgefälliges Leben auszusehen habe.
Schließlich sollten diese Texte auch in hohem Maße die kollektive Identität der
Gemeinschaft stärken und dies eben nicht nur gegenüber ihrem weltlichen Umfeld,
sondern auch gegenüber der benachbarten Abtei von Anchin. Gerade Ende der
1120er Jahre begann Anchin, eine dominierende Rolle in der Klosterlandschaft zu
spielen. Die Texte aus Marchiennes reagierten hierauf in zweierlei Hinsicht: Zum
einen drücken sie ihre große Dankbarkeit für die aus Anchin erhaltene Hilfe aus;
zum anderen stellen sie klar, dass Mönche aus Anchin in Marchiennes nur Gäste
waren. Diese Texte waren somit Ausdruck eines wachsenden Selbstbewusstseins,
das letztlich auf eine Unabhängigkeit von Anchin abzielte.
 
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