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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0409
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6. Der Liber de restauratione und die correctio von 1136 | 405

Die intellektuelle Betätigung der Mönche
Ein letzter Pfeiler des erinnerten propositum des Martinsklosters ist die intellektu-
elle Betätigung Odos und seiner Mönche, zu denen sich der Verfasser gewiss selbst
zählte. Häufiger sei es vorgekommen, dass Odo das Kloster einen ganzen Monat
lang nicht verlassen habe, da er sich intensiv mit der Lektüre oder dem Abschrei-
ben von Büchern befasste.1624 Über Odos literarisches Schaffen ist man durch eine
Vielzahl von erhaltenen Schriften gut unterrichtet.1625 Sein theologisches Werk, das
ganz eigene Akzente setzte und mit vielen Traditionen brach, weist ihn in der Tat
als einen großen Gelehrten aus.1626 Die besondere Affinität zur intellektuellen Betä-
tigung war aber nicht nur Odo zu eigen, sondern wurde gleichermaßen von seinen
Mönchen und ehemaligen Schülern geteilt. Odo sei nämlich sehr erfreut darüber
gewesen, dass Gott ihm eine so große Zahl von Schreibern geschenkt hatte. Wenn
man in den Kreuzgang des Klosters eingetreten sei, habe man mehr als zwölf jun-
ge Mönche gesehen, die an ihren Schreibpulten saßen und schweigend mit großer
Sorgfalt Texte abschrieben.1627 Saint-Martin war demnach ein Kloster, in dem die
intellektuelle Betätigung einen besonders hohen Stellenwert besaß. Hermann zählt
in der Folge nicht nur die Bücher auf, die das Kloster besessen hatte, sondern hebt
1624 Hermann, Liber, c. 79, S. 133: »[...] ut multociens integro mense de claustro non exiret, sed iugiter
lectioni intentus scribendis libris totum Studium daret. «
1625 Zu einem Überblick über Odos Werke, die zum Teil bereits in Saint-Martin entstanden, zum Teil aber
auch in Anchin siehe oben S. 354; Odo wird ein Gedicht mit dem Titel De bello troianae zugeschrie-
ben (Teile dieses Werkes sind exzerpiert bei Gottfried von Reims, Somnium de Odone Aurelianensi,
Sp. 1159-1160.), das, wenn es denn tatsächlich von Odo stammen sollte, in die Zeit vor seiner Kon-
version zu datieren ist. Zudem hat man Odo von Tournai einen Liber collationum, die Distinctiones
super psalterium, eine Abhandlung über die Zahl drei, eine Einführung in die Theologie, ein Buch
der Parabeln und eine Homilie auf die Passion zugeschrieben. Die beiden letzten Werke konnten in-
zwischen eindeutig Odo von Canterbury zugeordnet werden. Die Autorschaft der restlichen Werke
bleibt weiterhin mehr als zweifelhaft. Vgl. dazu z. B. J. Leclercq, Artikel »Odo von Cambrai«, Sp. 1099.
Hermann weiß zudem über einige nicht mehr erhaltene Werke zu berichten, die aus der Zeit vor Odos
Bekehrung stammen: Hermann, Liber, c. 1, S. 36: »Sed cum omnium septem liberalium artium esset
peritus, precipue tarnen in dialectica eminebat et pro ipsa maxime clericorum frequentia eum expetebat.
Scripsit etiam de ea duos libellos, quorum priorem ad cognoscenda devitandaque sophismata valde
utilem intitulavit Sophistem, alterum vero appelavit Librum complexionum, tercium quoque De re et
ente composuit, in quo solvit, si unum idemque sit res et ens.« Odo habe als Scholaster zudem Werke
unter dem Namen Odoardus geschrieben; vgl. ebd.
1626 Odos Hauptwerk war das De peccato originali, das sich mit der Frage befasst, woher die Seele kommt
und wie die Sünde Adams auf den Menschen übertragen werden konnte. Dazu J. N. D. Kelley, Early
Christian Doctrines, S. 174-183, 344-374; R. Hennings, Disputatio de origine animae, S. 260-268;
außerdem A. Michel, Artikel »Traducianisme«, Sp. 1351-1366 und M. Mühling, Artikel »Traduzianis-
mus«, Sp. 530. In der Forschung galt lange Zeit Anselm von Canterbury, De conceptu virginali et de
originali peccato, S. 135-173 als erstes Werk, das sich seit Augustinus mit dieser Frage befasst hatte.
I. Resnick, On Original Sin, S. 26 stellt aber die These auf, dass Odos Werk älter ist.
1627 Hermann, Liber, c. 79, S. 133: »Scriptorum quippe copiam a domino sibi datam exultabat, ita ut, si
claustrum ingredereris, videres plerumque XII monachos iuvenes in cathedris sedentes et super tabulas
diligenter et artificiose compositas cum silentio scribentes.«
 
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