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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0410
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406 | III. Die Abtei Saint-Martin in Tournai

auch einige der Schreiber und deren Werke besonders hervor, was nicht zuletzt
die große Wertschätzung dieser Tätigkeit belegt.1628 Dass das Kopieren von Tex-
ten ein wirkliches Spezifikum des Martinsklosters gewesen sein muss, kann man
in Hermanns überschwänglichem Lob auf sein Kloster erkennen. Demnach hatte
man dort so sorgfältig abgeschrieben, dass keine vergleichbaren Abschriften in den
benachbarten Klöstern zu finden waren. Letztere hätten die Abtei in Tournai sogar
um Exemplare gebeten, um ihre eigenen Bücher zu verbessern.1629 1630
Neben der Abschrift von Texten waren manche Mönche aber auch mit der
Produktion eigener Texte beschäftigt. Hermann selbst gehörte zu diesen Brüdern,
verfasste er doch seinen Tractatus de incarnatione.u^ Eine besondere Rolle nahm
zudem Bruder Alulf ein, der nicht nur über 47 Jahre als Bibliothekar und Kantor
tätig war und die Abschriften seiner Mönche auf penible Weise korrigierte, sondern
auch der Verfasser einer umfassenden Zitatensammlung aus den Werken Gregors
des Großen war.1631 Das aus vier Büchern bestehende Werk mit dem Titel Gregori-
alis entstand über einen äußerst langen Zeitraum.1632 Sein vierter Band wird in einer
Handschrift aus Tournai überliefert und ist ein Arbeitsexemplar, das in die Zeit
Alulfs zu datieren ist und in weiten Teilen wohl auch aus seiner Hand stammte.1633
1628 Zu den Buchbeständen Hermann, Liber, c. 79, S. 133-134; zu den Schreibern ebd., c. 76, S. 130-131.
1629 Hermann, Liber, c. 79, S. 134: »[...] tarn diligenter fecit describi, ut vix in aliqua vicinarum ecclesiarum
similis inveniretur bibliotheca omnesque pro corrigendis libris suis de nostra ecclesia peterent exemp-
laria.« Die aus Saint-Martin überlieferten zeitgenössischen Handschriften bestätigen dies dahingehend,
dass sie mit großer Akribie korrigiert wurden; siehe dazu unten Anm.1633; der Frage, inwieweit die
Handschriften zur Korrektur der Exemplare der benachbarten Klöster gedient hatten, konnte im Rah-
men dieser Arbeit nicht nachgegangen werden.
1630 Siehe dazu oben Anm. 1359.
1631 Zu Alulf: Hermann, Liber, c. 38, S. 75, c. 37, S. 77: »Adolescens vero ille quem prediximus Alulfus,
monachus factus in cenobio nostro armarii seu cantoris officium XLVII annis tenuit, omnesque libros
beati Gregorii sepius relegens, imitatus Paterium universas tarn veteris quam novi testamenti sententias
ab eo expositas excerpens tres exinde Codices composuit et quartum de diversis et valde utilibus sen-
tentiis superaddidit eisque Gregorialis nomen indidit, [...].« Zur These, dass er die Abschriften seiner
Brüder korrigierte siehe Anm. 1629.
1632 Das Werk selbst bleibt bis heute unediert. Lediglich einige Passagen und Teile wurden abgedruckt. So
Alulf Einleitung zu seinem Gregorialis: Alulf, Prologus in librum qui dicitur Gregorialis, S. 131-132;
die Zitate zum Neuen Testament, der Apostelgeschichte, den Paulusbriefen und der Apokalypse sind
ebenfalls abgedruckt worden; vgl. Alulf, Expositio novi testamenti, Sp. 1137-1423. Zum Inhalt der vier
Bücher vgl. Brüssel, BR, ms. II 1400, fol. 2v, wo es heißt: »Prima pars gregorialis de veteri testamento
praenotatur / Secunda pars gregorialis de psalmis et prophetis / Tertia gregorialis de novo testamento /
Quarta pars ista gregorialis de sententiis est praetitulata / Et quinta hec pars ultima de rebus diversis
loquitur secundum diversitatem rerum de quibus tractat diversis libris distinguitur et sedecim librorum
tractatibus concluditur.«
1633 Zu diesem Schluss kann man bei einer genaueren Analyse der Handschrift gelangen. Zunächst weist
die Hand des Schreibers mit ihrer charakteristischen romanischen Schrift, aber auch die Aufmachung
der Initialen und Kapitelüberschriften in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts. Dass es sich um eine
Art Arbeitsexemplar handelte, zeigt die Tatsache, dass man an der Handschrift selbst relativ genau die
Entstehung nachzeichnen kann. Insgesamt lassen sich mindestens vier Phasen bzw. Versionen unter-
scheiden, die nach und nach durch einzelne Kapitel oder ganze Bücher ergänzt wurden. Da die Hand-
 
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