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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0470
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466 | IV. Die Abtei von Anchin

Strenge und der Unwille, in denen vormals gewöhnlich Zunge, Antlitz und Auge
sich furchterregend gegen ihn wandten?«1856 Nachdem Bernhard über viele Zeilen
deutlich gemacht hat, dass Alvisus sich nun gegenüber Godwin als barmherzig er-
wiesen hat, kommt er auf seine Rolle in dieser Angelegenheit zu sprechen. Bernhard
war bereit, Alvisus Genugtuung für das ihm angetane Unrecht zu leisten.1857 Er
leugnete im Folgenden nicht, dass er einen Fehler begangen hatte, sondern versuch-
te sein Handeln zu rechtfertigen. So räumt er zwar ein, dass er gesündigt habe, als
er Godwin ohne die Zustimmung seines Abtes aufgenommen hatte, relativiert dies
aber sogleich, indem er die Vermutung äußert, dass es eventuell Gottes Wille war,
den Mönchen von Clairvaux einen solchen Heiligen zu schicken. So fragt er: »Wer
weiß denn, ob Gott nicht aus Eurem Reichtum unserer Armut helfen wollte (2 Kor
8,14), indem er einen von den vielen, die ja damals als Ordensleute bei Euch wa-
ren, zu uns führte, uns zum Trost, aber nichtsdestoweniger Euch zum Ruhm?«1858
Bernhard beteuert, dass nicht er Godwin zum Übertritt nach Clairvaux bewogen
hat, sondern dass es dessen alleiniger Entschluss war, dem er schließlich nachgab,
nachdem er versucht hatte ihn zurückzuschicken. Bernhard legt hier eine Argu-
mentation an den Tag, die sich in seinen Schriften immer wieder findet: Er lehnte
niemanden ab, der bei ihm das Heil suchte.1859 Dennoch war Bernhard bereit, wie er
schrieb, Alvisus auf Knien um Entschuldigung zu bitten und ihm die Schulter zur
Züchtigung anzubieten.1860
Aus diesem Brief wird zunächst ersichtlich, dass sich Bernhard und Alvisus
bereits kannten.1861 Auffallend ist der übergroße Respekt den Bernhard dem Abt
von Anchin zollte, aber auch sein Bedürfnis, in dieser Angelegenheit eine gütliche
Lösung zu finden. Bedenkt man, dass Bernhard in anderen vergleichbaren Fällen
1856 Übersetzung übernommen aus Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, Bd. 2, ep. 65, S. 558-559;
Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 65, S. 159: »Ubi est nunc illa austeritas, illa severitas, illa
indignatio, quae olim in illum lingua, vultus, oculi, terribiliter ostentare et intentare solebant?«
1857 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 65, S. 160: »Quae, inquam, de nobis digna vobis satisfactio
placebit, quibus utique pro grandi iniuria imponitis, quod a vobis recedens, a nobis receptus sit?«
1858 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 65, S. 161; zur Übersetzung Bernhard von Clairvaux, Sämt-
liche Werke, Bd. 2, S. 161: »Quis, inquam, sanctum illum, aut pulsantem repelleret, aut susceptum
expelleret? Quis vero seit, si de vestra abundantia nostram Deus voluerit supplere inopiam, ut scilicet
unum de multis, qui forte apud vos religiosi tune erant, ad nos dirigeret, nobis quidem ad solatium, sed
nihilominus vobis ad gloriam?«
1859 A. M. Dimier, Saint-Bernard et le recrutement.
1860 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 65, S. 161: »Utinam ipse qui id mihi fortasse inspirit, vobis
quoque Spiritus sentire faciat quam flebilis quam miserabilis, tamquam praesens, ad genua usque vestra
descendo, quam frequenter nudus humeros virgasque in minibus gestans, et quasi ad vestram iussionem
vapulare paratus, peto veniam, gratiam tremebundus exspecto!«
1861 Bernhard von Clairvaux, Opera, Bd. 7, ep. 65, S. 159. Es ist die Rede davon, dass sich Alvisus seiner
Freundschaft wieder erinnert. Ob sich amicitia auf Bernhard oder auf Godwin bezieht, lässt sich nicht
mit Sicherheit sagen.
 
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