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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0484
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480 | IV. Die Abtei von Anchin

den Inhalt des Textes, wird schnell deutlich, dass es sich keinesfalls um ein Werk mit
originellen Gedanken und Lehren handelt, sondern vielmehr um eine Kompilation,
bestehend aus Exzerpten und Zitaten der großen monastischen Autoren. Darin ver-
treten sind Autoren wie Gregor der Große, Hieronymus, Augustinus, Johannes
Cassian, Isidor, Petrus Venerabilis, Anselm von Canterbury, Hildebert von Lavar-
din, Hugo von Saint-Victor, Alulf von Tournai, Wilhelm von Saint-Thierry, Bern-
hard von Clairvaux, Richard von Saint-Victor, aber auch Auszüge aus dem Liber
de modo bene vivendi ad sororem, aus dem Tractatus de statu virtutum und Zitate
des Horaz und des Pseudo-Senecas.1928 Es handelt sich zum einen um ganz klassi-
sche monastische Autoren, zum anderen aber auch um Gelehrte und Autoritäten
jüngerer Zeit. Dieser Befund macht deutlich, dass man in Anchin durchaus großen
Wert auf Gedanken, Lehren und Erfahrungen der jüngeren Zeit legte. Unklar bleibt
letztlich die Frage, inwiefern diese Kompilation mit Abt Gossuin in Verbindung
steht. Nach Breitenstein gibt es drei denkbare Möglichkeiten: So könnten dieser
Kompilation Exzerpte zugrunde liegen, die Gossuin zu Lebzeiten persönlich an-
gefertigt hatte. Oder aber die Exzerpte stammen nicht aus der Feder Gossuins und
wurden später angefertigt, wobei sie jene Teile der entsprechenden Werke Zusam-
mentragen, in denen Gossuin persönlich gerne gelesen hatte. Eine letzte Möglich-
keit, die nicht vollkommen auszuschließen ist, besteht darin, dass sich der anonyme
Kompilator des Namens Gossuins bemächtigte, um seinem Werk größere Autorität
zu verleihen.1929 Ob die Lehren des De novitiis instruendis mit Gossuin in Verbin-
dung stehen oder nicht, ist zunächst zweitrangig. Entscheidend ist vielmehr, welche
Ideale und Lehren einen besonderen Stellenwert in Anchin besaßen. In diesem Zu-
sammenhang soll kurz auf den Gebrauch des Werkes eingegangen werden.
Der Titel De novitiis instruendis suggeriert, dass sich dahinter ein Text zur Un-
terweisung von Novizen, also eine Art Novizenspiegel verbirgt. Bei genauerem
Hinsehen wird aber schnell ersichtlich, dass dieser Text nur äußerst bedingt für die
Ausbildung von Mönchen geeignet war. Breitenstein stellt fest, dass der Text mit
seinem mangelnden didaktischen Aufbau nur schwerlich zur Lektüre für Kloster-
anfänger geeignet war. Darüber hinaus lässt sich konstatieren, dass der Inhalt des
Texts für Novizen wenig spezifisch erscheint.1930 Ohne den Titel, der eine gewisse
Erwartungshaltung beim Leser hervorruft, so Breitenstein, wäre man nicht ver-
sucht, diesen Text als Novizenspiegel zu bezeichnen. Der Text sei vielmehr als eine
1928 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 59-69. Eine genaue tabellarisch angelegte Liste der zitierten
Texte findet sich ebd., Anhang 2, S. 145-149
1929 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 57.
1930 M. Breitenstein, De novitiis instruendis, S. 73; zum Noviziat vgl. Ders., Das Noviziat im hohen Mit-
telalter; Ders., Der Eintritt ins Kloster, S. 91-98.
 
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