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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0279
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6. Rezeptionen und Wirkungen

(f 1534) in seiner weit verbreiteten Beichtsumme behauptete, dass Paulus ein
kräftiges und von jeglichem Skrupel freies Gewisses besessen hätte,211 hatte er
genau diese Frage wieder aufgegriffen (freilich ohne sich auf die vier Gewissens-
arten zu beziehen). Und auch der vor allem mit seiner Übersetzung der Bibel ins
Englische einflussreiche Reformator William Tyndale (f 1536) vermochte in sei-
ner 1528 erschienenen Abhandlung Obedience of a Christian Man das Gewissen
eben deshalb als jene Kraft bezeichnen, mit der man auch dem Papst widerstehen
könne,212 weil es für ihn im Evangelium gründete.
Hingegen war ein Zusammenhang von guten Werken und Gewissensreinheit,
wie er nicht nur von Bernhard von Clairvaux behauptet wurde, unter den ge-
wandelten Bedingungen nicht mehr selbstverständlich, sondern vielmehr zu ei-
nem der zentralen Konfliktpunkte zwischen den konfessionellen Lagern erwach-
sen.213 Die in den protestantischen Gebieten entstehenden und rasch im Druck
erscheinenden Übersetzungen der Bibel gaben den volkssprachlichen Übetragun-
gen des Begriffs der conscientia ihre dezidiert paulinische Färbung. Im deutschen
Sprachraum erhielt der Begriff eine spezifische Prägung durch Luther: „Sein
Wort,Gewissen* wird durch den deutschen Bibeltext bald etabliert.“214 Von einer
„Intensivierung und Erweiterung“ des Gewissensbegriffs „im Zuge der reforma-
torischen Bewegung“ sprach unlängst Luise Schorn-Schütte.215
Die stärksten Veränderungen erfuhr ,das Gewissen* wohl aber im Bereich des
Medialen: Ohne den mit der Etablierung des Buchdrucks einhergehenden Medi-
enwandel wären nicht nur die reformatorischen Ereignisse als solche kaum mög-
lich gewesen;216 auch die Diskussionen um und über das Gewissen wurden auf
eine neue begriffliche Grundlage gestellt. Bedeutsam waren hierbei nicht zuletzt
die mit dem Buchdruck verbundenen Standardisierungsprozesse, was sich gerade
an De quattuor modios conscientiarum, aber auch an zahlreichen weiteren Bei-
spielen aus dem weiten Feld der pastoralen Gewissensliteratur zeigt.
Standardisierungen im Text gingen mit Normierungen im Bereich der Seel-
sorge einher. Unübersehbar sind die verstärkten Beschäftigungen mit dem
Gegenstand des Gewissens auf theoretischer wie seelsorgerlicher Ebene - Ent-
wicklungen, die ohne die nun mögliche extensive Verbreitung des relevanten
Schrifttums undenkbar gewesen wären.217 Die gleichzeitig stattfindende Ent-
211 Vgl. M. G. Baylor, Action and Person, S. 21-3.
212 Vgl. B. Cummings, Conscience and the Law, S. 42.
213 Vgl. oben S. 75.
214 U. Störmer-Caysa, Über das Gewissen, S. 28.
215 L. Schorn-Schütte, Gottes Wort, S. 167.
216 Vgl. Th. Kaufmann, Erlöste und Verdammte, S. 354; Vgl. W. Faulstich, Medien zwischen
Herrschaft und Revolte, S. 162.
217 Vgl. M. Turrini, La coscienza e le leggi, v. a. S. 80-127.
 
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