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Einleitung
Auch dies scheint bezeichnend für einen heterogenen Orden zu sein, innerhalb
dessen sich selbst spezifische proposita unterschieden: Die Einen waren nördlich
der Alpen wie die Mendikanten zum Großteil in die Pfarrseelsorge eingebunden,
sie predigten und bettelten - die Anderen lebten südlich der Alpen als benedikti-
nische Eremiten klausuriert vom Besitz ihrer altehrwürdigen italienischen Klös-
ter. Die Suche nach der ,einen£ integrativen Identität blieb schon deshalb immer
bestehen. Schon im Prolog der prämonstratensischen Statuten aus der Mitte des
12. Jahrhunderts erfuhr man von der Notwendigkeit der inneren Einheit (unitas)
und äußerlichen Gleichförmigkeit (uniformitas))33 Die Dominikaner übernah-
men dieses Gebot wörtlich in ihre Konstitutionen, und auch bei den Wilhelmiten
liest man Ähnliches: Diese Einheit und Gleichförmigkeit schworen die Statuten
nämlich im Prolog von 1251 (und gemäß C von 1271) dort ein, wo es nötig war -
bei Wahlen, bei Kapitelversammlung oder beim Spieleverbot. Wenn es allerdings
um den wilhelmitischen Lebensunterhalt ging, werden die Statuten vor allem ab
1304 immer stärker von Konzessionen an die nördlichen Provinzen bestimmt.
Angesichts des quantitativen Übergewichts der französischen* und ,deutschen*
Konvente mag dies gleichermaßen Ausdruck von harmonisierendem Ausgleich
der Ordensleitung wie von deren Ohnmacht sein.
Dass die Statuten wie oben anskizziert dabei nur einen Ausschnitt des partiku-
laren Rechts umfassten, steht außer Zweifel. Individuelle Klöster bedürfen schon
aufgrund ihrer ganz individuellen Mitgliederzahlen, Privilegien, Rechtsauflagen
und sozialen Umgebungen immer auch individueller Studien. Es gehört zu den
Binsenweisheiten der Rechtshistorie, dass Norm und Realität nicht immer de-
ckungsgleich sind. Was das vorliegende Buch in Anbetracht dessen leistet, ist die
Darreichung von Rechtsquellen, die bislang allesamt unediert sind und eine ver-
gleichende Weiterarbeit auf der Makroebene des Ordens wie der Mikroebene ein-
zelner Konvente anregen soll.
findet sich auch in den wilhelmitischen Statuten wieder. Für die Cluniazenser legitimierte Abt
Petrus Venerabilis im Prolog seiner Statuten von 1146/47 das vermeintlich Neue über die Unver-
änderbarkeit des an der virtus ausgerichteten Grundbestands von caritas und ähnlichen Werten.
Einzig die adjumenta virtutis, wie Fasten oder körperliche Übungen, habe man den Sachlagen
der Zeit angepasst. Ähnliches schimmert in A.73, B.4, B.37, G.30 (in virtute sancte obedien-
tie) durch. Zu Cluny siehe Petrus Venerabilis, Statuta (Praefatio), ed. Constable, S. 39. Vgl.
zum programmatischen Prolog vor allem Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte, S. 22—24;
Schreiner, Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz, S. 330-331; Pinke,
Der Statutenprolog des Petrus Venerabilis, S. 3-11; Melville, Handlung, Text und Geltung,
S. 27-29.
133 Les Statuts de Premontre au milieu du Xlle siede, ed. Lefevre / Grauwen, S. 1.
Einleitung
Auch dies scheint bezeichnend für einen heterogenen Orden zu sein, innerhalb
dessen sich selbst spezifische proposita unterschieden: Die Einen waren nördlich
der Alpen wie die Mendikanten zum Großteil in die Pfarrseelsorge eingebunden,
sie predigten und bettelten - die Anderen lebten südlich der Alpen als benedikti-
nische Eremiten klausuriert vom Besitz ihrer altehrwürdigen italienischen Klös-
ter. Die Suche nach der ,einen£ integrativen Identität blieb schon deshalb immer
bestehen. Schon im Prolog der prämonstratensischen Statuten aus der Mitte des
12. Jahrhunderts erfuhr man von der Notwendigkeit der inneren Einheit (unitas)
und äußerlichen Gleichförmigkeit (uniformitas))33 Die Dominikaner übernah-
men dieses Gebot wörtlich in ihre Konstitutionen, und auch bei den Wilhelmiten
liest man Ähnliches: Diese Einheit und Gleichförmigkeit schworen die Statuten
nämlich im Prolog von 1251 (und gemäß C von 1271) dort ein, wo es nötig war -
bei Wahlen, bei Kapitelversammlung oder beim Spieleverbot. Wenn es allerdings
um den wilhelmitischen Lebensunterhalt ging, werden die Statuten vor allem ab
1304 immer stärker von Konzessionen an die nördlichen Provinzen bestimmt.
Angesichts des quantitativen Übergewichts der französischen* und ,deutschen*
Konvente mag dies gleichermaßen Ausdruck von harmonisierendem Ausgleich
der Ordensleitung wie von deren Ohnmacht sein.
Dass die Statuten wie oben anskizziert dabei nur einen Ausschnitt des partiku-
laren Rechts umfassten, steht außer Zweifel. Individuelle Klöster bedürfen schon
aufgrund ihrer ganz individuellen Mitgliederzahlen, Privilegien, Rechtsauflagen
und sozialen Umgebungen immer auch individueller Studien. Es gehört zu den
Binsenweisheiten der Rechtshistorie, dass Norm und Realität nicht immer de-
ckungsgleich sind. Was das vorliegende Buch in Anbetracht dessen leistet, ist die
Darreichung von Rechtsquellen, die bislang allesamt unediert sind und eine ver-
gleichende Weiterarbeit auf der Makroebene des Ordens wie der Mikroebene ein-
zelner Konvente anregen soll.
findet sich auch in den wilhelmitischen Statuten wieder. Für die Cluniazenser legitimierte Abt
Petrus Venerabilis im Prolog seiner Statuten von 1146/47 das vermeintlich Neue über die Unver-
änderbarkeit des an der virtus ausgerichteten Grundbestands von caritas und ähnlichen Werten.
Einzig die adjumenta virtutis, wie Fasten oder körperliche Übungen, habe man den Sachlagen
der Zeit angepasst. Ähnliches schimmert in A.73, B.4, B.37, G.30 (in virtute sancte obedien-
tie) durch. Zu Cluny siehe Petrus Venerabilis, Statuta (Praefatio), ed. Constable, S. 39. Vgl.
zum programmatischen Prolog vor allem Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte, S. 22—24;
Schreiner, Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz, S. 330-331; Pinke,
Der Statutenprolog des Petrus Venerabilis, S. 3-11; Melville, Handlung, Text und Geltung,
S. 27-29.
133 Les Statuts de Premontre au milieu du Xlle siede, ed. Lefevre / Grauwen, S. 1.