36 I Eva Schlotheuber
In diesem Beitrag soll es um die allgemeinen theologischen und sozialen Be-
dingungen gehen, die monastisch lebenden Frauen im Spätmittelalter den Zu-
gang zu gelehrtem Wissen und eine Autorität des Sprechens ermöglicht haben.
Dieser Versuch soll ungeachtetet dessen unternommen werden, dass sich insbe-
sondere im Spätmittelalter eine enorme Vielfalt geistlicher weiblicher Lebens-
formen entwickelt hat. Das geistliche Leben der religiosa entfaltete sich im We-
sentlichen auf der religiösen Vorstellung der Nonne als „Braut Christi“ (sponsa
Christi}, auch wenn sie in den weiblichen Zweigen der verschiedenen Orden
ganz unterschiedlich akzentuiert sein konnte. Dieser Beitrag ist in gewisser
Hinsicht ein Experiment. Es ist der Versuch, den Wissenszugang und den Wis-
sensbegriff der geistlichen Frauen als identitätsstiftenden und autorisierenden
Teil dieser Lebensform in den Grundlinien, sozusagen als Rahmenbedingung
zu fassen. Zugrunde liegt dabei die These, dass sich in den spätmittelalterlichen
Frauenklöstern ein spezifischer Bildungsbegriff etablierte, der sich deutlich
von der scholastischen Wahrheitsfindung der Mönche und Kleriker unter-
schied. Da den geistlichen Frauen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft
grundlegend andere Aufgaben zufielen als den Männern, war auch ihre Ausbil-
dung und ihr Wissen anders organisiert. Ihr Bildungsbegriff war untrennbar
gebunden an den Vollzug der Liturgie als wesentliche Aufgabe der geistlichen
Frauen und in hohem Maße identitätsstiftend.
Für das Wirken der mulieres religiosae nach außen, im öffentlichen Raum,
und nach innen, in den semi-öffentlichen Bereich der eigenen Gemeinschaft,
entwickelten sich insbesondere seit der hochmittelalterlichen Kirchenreform
zwei unterschiedliche Authorisierungsstrategien. Grundlegend für das Selbst-
und Fremdverständnis war, wie bereits erwähnt, die Vorstellung der Nonne als
„Braut des höchsten Königs“, als sponsa Christi. Die damit verbundenen Ideal-
vorstellungen können wir am besten beim Übertritt in den geistlichen Stand
fassen, der als „geistliche Hochzeit“ mit dem Bräutigam Christus gefeiert
wurde.7 Die Übergangsriten stellen die Entscheidung für den himmlischen
6 Entsprechend diesem Selbstbild entwickelte Hildegard von Bingen auf der Basis der infir-
mitas, die Legitimierung ihrer Autorschaft, indem sie die eigene Schwäche in Stärke verwan-
delte: Die weibliche infirmitas, die eigene Schwäche und „Selbstverkleinerung“ als paupercu-
la gab dem göttlichen Wort sozusagen den notwendigen Raum, vgl. Christel Meier, Von der
,Privatoffenbarung“ zur öffentlichen Lehrbefugnis. Legitimationsstufen des Prophetentums
bei Rupert von Deutz, Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau, in: Gert Melvil-
LE/Peter von Moos (Hgg.), Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (Norm und
Struktur 10), Köln/Weimar/Wien 1998, S. 97-123; sowie Christel Meier, Autorschaft im
12. Jahrhundert, in: Peter von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und
Identifikation in der vormodernen Gesellschaft (Norm und Struktur 23), Köln/Weimar/
Wien 2004, S. 207-266.
In diesem Beitrag soll es um die allgemeinen theologischen und sozialen Be-
dingungen gehen, die monastisch lebenden Frauen im Spätmittelalter den Zu-
gang zu gelehrtem Wissen und eine Autorität des Sprechens ermöglicht haben.
Dieser Versuch soll ungeachtetet dessen unternommen werden, dass sich insbe-
sondere im Spätmittelalter eine enorme Vielfalt geistlicher weiblicher Lebens-
formen entwickelt hat. Das geistliche Leben der religiosa entfaltete sich im We-
sentlichen auf der religiösen Vorstellung der Nonne als „Braut Christi“ (sponsa
Christi}, auch wenn sie in den weiblichen Zweigen der verschiedenen Orden
ganz unterschiedlich akzentuiert sein konnte. Dieser Beitrag ist in gewisser
Hinsicht ein Experiment. Es ist der Versuch, den Wissenszugang und den Wis-
sensbegriff der geistlichen Frauen als identitätsstiftenden und autorisierenden
Teil dieser Lebensform in den Grundlinien, sozusagen als Rahmenbedingung
zu fassen. Zugrunde liegt dabei die These, dass sich in den spätmittelalterlichen
Frauenklöstern ein spezifischer Bildungsbegriff etablierte, der sich deutlich
von der scholastischen Wahrheitsfindung der Mönche und Kleriker unter-
schied. Da den geistlichen Frauen innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft
grundlegend andere Aufgaben zufielen als den Männern, war auch ihre Ausbil-
dung und ihr Wissen anders organisiert. Ihr Bildungsbegriff war untrennbar
gebunden an den Vollzug der Liturgie als wesentliche Aufgabe der geistlichen
Frauen und in hohem Maße identitätsstiftend.
Für das Wirken der mulieres religiosae nach außen, im öffentlichen Raum,
und nach innen, in den semi-öffentlichen Bereich der eigenen Gemeinschaft,
entwickelten sich insbesondere seit der hochmittelalterlichen Kirchenreform
zwei unterschiedliche Authorisierungsstrategien. Grundlegend für das Selbst-
und Fremdverständnis war, wie bereits erwähnt, die Vorstellung der Nonne als
„Braut des höchsten Königs“, als sponsa Christi. Die damit verbundenen Ideal-
vorstellungen können wir am besten beim Übertritt in den geistlichen Stand
fassen, der als „geistliche Hochzeit“ mit dem Bräutigam Christus gefeiert
wurde.7 Die Übergangsriten stellen die Entscheidung für den himmlischen
6 Entsprechend diesem Selbstbild entwickelte Hildegard von Bingen auf der Basis der infir-
mitas, die Legitimierung ihrer Autorschaft, indem sie die eigene Schwäche in Stärke verwan-
delte: Die weibliche infirmitas, die eigene Schwäche und „Selbstverkleinerung“ als paupercu-
la gab dem göttlichen Wort sozusagen den notwendigen Raum, vgl. Christel Meier, Von der
,Privatoffenbarung“ zur öffentlichen Lehrbefugnis. Legitimationsstufen des Prophetentums
bei Rupert von Deutz, Hildegard von Bingen und Elisabeth von Schönau, in: Gert Melvil-
LE/Peter von Moos (Hgg.), Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (Norm und
Struktur 10), Köln/Weimar/Wien 1998, S. 97-123; sowie Christel Meier, Autorschaft im
12. Jahrhundert, in: Peter von Moos (Hg.), Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und
Identifikation in der vormodernen Gesellschaft (Norm und Struktur 23), Köln/Weimar/
Wien 2004, S. 207-266.