Doctrina privata und doctrina publica I 35
kerinnen der Fall war. Der Fokus der Forschung lag und liegt deshalb nachvoll-
ziehbarer Weise auf den großen Ausnahmegestalten, für die zudem eine besondere
öffentliche Wirkmacht durch Heiligkeit galt. Der Ausschluss vom Lehramt und
den öffentlichen, theologischen Diskursen, verbunden mit der Einhaltung fester
Klausur schien als historische Bedingung klar gegen eine nennenswerte Wirk-
macht der geistlichen Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft zu sprechen.
Aufgrunddessen geriet die Frage erst gar nicht in den Blick, ob sich in den Frauen-
klöstern - wie bei den Männergemeinschaften - ein eigenständiges intellektuelles
Bildungsmilieu etablieren konnte? In dem hier diskutierten Zusammenhang, der
die Autorität der Rede, eine aktive Gestaltung der laikalen Umgebung und Inno-
vationsfähigkeit ins Zentrum stellt, ist freilich die Frage nach der Existenz eigener
Bildungstraditionen entscheidend, wenn man nicht der Sogkraft der Ausnahme-
gestalten erliegen möchte.
Denn ist es wirklich vorstellbar, dass Nonnen wie Hildegard von Bingen, Ger-
trud von Helfta oder auch Caritas Pirckheimer, die, wie es üblich war, von Kind-
heit an im Kloster lebten, gleichsam vom Blitz der Erkenntnis erleuchtet, wie aus
dem Nichts Fähigkeiten entwickelten, durch die sie auf Augenhöhe mit den hoch-
rangigen Theologen ihrer Zeit, mit weltlichen oder geistlichen Höfen agieren
konnten? Oder sind die Dinge vielleicht doch vielschichtiger angelegt und wir
folgen hier unkritisch dem Selbst- und Fremdbild der geistlichen Frauen, die wie
Clara und Caritas Pirckheimer im Dialog mit gelehrten Männern stets die geistige
Armut und Unbildung, die ignorantia, betonten?5 Die körperliche und geistige
Schwäche der Frauen, die infirmitas, diente als zentrale Legitimierungsstrategie
und autorisierte ihre besondere Lebens- und Wissensform.6
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3. Fol-
ge, 206), Göttingen 1994, S. 59-74; Marie-Luise Ehrenschwendtner, Die Bildung der
Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert (Contubernium.
Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 60), Stuttgart 2004; zuletzt
Simone Mengis, Schreibende Frauen um 1500. Scriptorium und Bibliothek des Dominika-
nerinnenklosters St. Katharina St. Gallen (Scrinium Friburgense 28), Berlin 2013, S. 71: „Zur
Erfüllung der elementaren liturgischen Erfordernisse, welche mit dem Chorgebet den mo-
nastischen Alltag der Nonnen bestimmten, genügte dank des formelhaften Charakters ein
passives Memorieren, sprich: .Auswendig dahersagen“. Ein intellektuelles Verstehen des Ge-
lesenen war wohl in den wenigsten Fällen gegeben“.
5 Clara Pirckheimer spielt in ihrem Brief an den Humanistenbruder Willibald (20. Juli 1519)
gekonnt mit dem Fremd- und Selbstbild der Nonnen als besonders einfältig, weltfremd und
ängstlich: „Es ist kain wunder, das wir armen nundlein [Nonnen] einen solchen großen man
[wie ihn, Willibald] furchten, so wir doch oft vor einer meuß [Maus] erschrecken, das wir nit
wißen, wo wir beleihen sollen“; vgl. Eva Schlotheuber, Caritas Pirckheimer und Melanch-
thons Verteidigung der Nürnberger Klosterfrauen, in: Hanna Kasparick (Hg.), Reformati-
on und Toleranz. Vom Umgang mit Außenseitern und Andersdenkenden (Wittenberger
Sonntagsvorlesungen), Wittenberg 2013, S. 53-71, hier S. 60.
kerinnen der Fall war. Der Fokus der Forschung lag und liegt deshalb nachvoll-
ziehbarer Weise auf den großen Ausnahmegestalten, für die zudem eine besondere
öffentliche Wirkmacht durch Heiligkeit galt. Der Ausschluss vom Lehramt und
den öffentlichen, theologischen Diskursen, verbunden mit der Einhaltung fester
Klausur schien als historische Bedingung klar gegen eine nennenswerte Wirk-
macht der geistlichen Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft zu sprechen.
Aufgrunddessen geriet die Frage erst gar nicht in den Blick, ob sich in den Frauen-
klöstern - wie bei den Männergemeinschaften - ein eigenständiges intellektuelles
Bildungsmilieu etablieren konnte? In dem hier diskutierten Zusammenhang, der
die Autorität der Rede, eine aktive Gestaltung der laikalen Umgebung und Inno-
vationsfähigkeit ins Zentrum stellt, ist freilich die Frage nach der Existenz eigener
Bildungstraditionen entscheidend, wenn man nicht der Sogkraft der Ausnahme-
gestalten erliegen möchte.
Denn ist es wirklich vorstellbar, dass Nonnen wie Hildegard von Bingen, Ger-
trud von Helfta oder auch Caritas Pirckheimer, die, wie es üblich war, von Kind-
heit an im Kloster lebten, gleichsam vom Blitz der Erkenntnis erleuchtet, wie aus
dem Nichts Fähigkeiten entwickelten, durch die sie auf Augenhöhe mit den hoch-
rangigen Theologen ihrer Zeit, mit weltlichen oder geistlichen Höfen agieren
konnten? Oder sind die Dinge vielleicht doch vielschichtiger angelegt und wir
folgen hier unkritisch dem Selbst- und Fremdbild der geistlichen Frauen, die wie
Clara und Caritas Pirckheimer im Dialog mit gelehrten Männern stets die geistige
Armut und Unbildung, die ignorantia, betonten?5 Die körperliche und geistige
Schwäche der Frauen, die infirmitas, diente als zentrale Legitimierungsstrategie
und autorisierte ihre besondere Lebens- und Wissensform.6
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3. Fol-
ge, 206), Göttingen 1994, S. 59-74; Marie-Luise Ehrenschwendtner, Die Bildung der
Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13. bis 15. Jahrhundert (Contubernium.
Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 60), Stuttgart 2004; zuletzt
Simone Mengis, Schreibende Frauen um 1500. Scriptorium und Bibliothek des Dominika-
nerinnenklosters St. Katharina St. Gallen (Scrinium Friburgense 28), Berlin 2013, S. 71: „Zur
Erfüllung der elementaren liturgischen Erfordernisse, welche mit dem Chorgebet den mo-
nastischen Alltag der Nonnen bestimmten, genügte dank des formelhaften Charakters ein
passives Memorieren, sprich: .Auswendig dahersagen“. Ein intellektuelles Verstehen des Ge-
lesenen war wohl in den wenigsten Fällen gegeben“.
5 Clara Pirckheimer spielt in ihrem Brief an den Humanistenbruder Willibald (20. Juli 1519)
gekonnt mit dem Fremd- und Selbstbild der Nonnen als besonders einfältig, weltfremd und
ängstlich: „Es ist kain wunder, das wir armen nundlein [Nonnen] einen solchen großen man
[wie ihn, Willibald] furchten, so wir doch oft vor einer meuß [Maus] erschrecken, das wir nit
wißen, wo wir beleihen sollen“; vgl. Eva Schlotheuber, Caritas Pirckheimer und Melanch-
thons Verteidigung der Nürnberger Klosterfrauen, in: Hanna Kasparick (Hg.), Reformati-
on und Toleranz. Vom Umgang mit Außenseitern und Andersdenkenden (Wittenberger
Sonntagsvorlesungen), Wittenberg 2013, S. 53-71, hier S. 60.