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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0054
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50 I Eva Schlotheuber

auf die nach innen gerichteten Leitungsqualifikationen, also die Art der Lebens-
führung, die im Reformkontext zugleich das spirituelle Profil des Konvents
prägte, und die Fähigkeit zur Unterweisung der Gemeinschaft. Jetzt traten Kö-
nigstöchter wie beispielsweise Maria, die Tochter der Isabella von Bayern (1370-
1435) in das französische Dominikanerinnenkloster Poissy ein, ohne jemals Äb-
tissin zu werden.
4. Resümee
Die hochmittelalterliche Klosterreform hat die Stellung der geistlichen Frauen
sowohl innerhalb der geistlichen Hierarchie als auch im weltlichen Sozialgefüge
entscheidend neu definiert. Ungeachtet dessen, dass sie infolge einer präziseren
Bestimmung klerikaler Kompetenzen trotz ihrer geistlichen Weihe zu den Laien
gerechnet wurden, waren sie nicht prinzipiell vom Erwerb gelehrten Wissens
abgeschnitten. Die traditionelle Vorstellung der Nonne als „Braut Christi“
wurde nun zur theologischen Grundlage einer neu formulierten Stellung in der
sich ausbildenden Kirchenhierarchie. Als spirituell überhöhte „Brautschaft
Christi“ eröffnete sie den Nonnen einen speziellen Gotteszugang, der auf der
unberührten Körperlichkeit basierte, und mit der Christusnähe einen eigenen
Wissenszugang für sich beanspruchte. Ihre angesehene Rolle als spezielle Mitt-
lerinnen zwischen Gott und der Welt sicherten den „Bräuten Christi“ eine hohe
gesellschaftliche Wirkmacht und Autorität.
Die hochmittelalterliche Kirchenreform schob der konkreten Machtaus-
übung der Äbtissinnen nach außen einen Riegel vor und beschnitt mit der Klau-
sur tiefgreifend den realen Lebens- und Aktionsraum der Nonnen. Angelegt als
Beschränkung kann man diesem Prozess insofern erhebliches Innovationspo-
tential zuerkennen, als er eine Professionalisierung der internen Organisation
und Ämterstruktur der Nonnengemeinschaften nach sich zog. Mit der Reform
einher ging eine soziale Öffnung der alten Frauenklöster als einer zuvor sehr
exklusiven Lebensform, die für breitere Bevölkerungsschichten geöffnet wurde.
Die strenge Klausur der Frauen unterstützte die Reflexion bzw. intellektuelle
Durchdringung der eigenen Lebensform und förderte die Ausbildung spezifi-
scher Kenntnisse, die auf die eigenen Bedürfnisse und auf die wesentliche Auf-
gabe, nämlich den Vollzug der Liturgie ausgerichtet waren.
Die Frauenklöster bildeten damit gewissermaßen einen eigenen konkurrie-
renden ,Wissensraum' aus, dem der Zugang zu gelehrter Bildung eine Substanz
verlieh. Er speiste sich sowohl aus den lateinischen Traditionen und den gelehr-
ten Diskursen der Männer als auch aus der volkssprachlichen Mystik und der
spätmittelalterlichen Frömmigkeitspraxis. Es ist der Bildungsbegriff selbst, der
 
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