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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0055
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Doctrina private und doctrina publica I 51

die Frauenkonvente von anderen Bildungsinstitutionen unterschied: Während
das gelehrte Wissen in den Lateinschulen und Universitäten nach Disziplinen
strukturiert war und so Bildungsprozesse durch Curricula zu Bildungsgängen
geformt wurden, verdichteten und formten sich Bildungsprozesse in den Frau-
enklöstern in enger Beziehung zu ihrer liturgischen Praxis. In den Chorbüchern
aus Paradiese Soest können wir erkennen, dass die Liturgie dem gelehrten Wis-
sen der Frauen eine eigene Ordnung und Struktur verlieh. Sie wurden durch ihre
vielschichtige und multimediale Kommentierung zu einem komplexen Wissens-
speicher. Die Frauen bildeten auf dieser Basis generationenübergreifend Wissen-
straditionen aus, die sie innerhalb der eigenen Gemeinschaft Weitergaben, und
formten einen Wissensraum, der durch die Klausur gleichsam geschützt wurde.
Er bildete den „Unterbau“ oder Nährboden der großen Visionärinnen und Mys-
tikerinnen wie Hildegard von Bingen oder Gertrud von Helfta, die aufgrund
göttlicher Offenbarung heraustraten und auch durch die öffentliche Rede wirk-
ten. Prinzipiell war die Wissensorganisation und -Vermittlung aber ganz nach
innen, auf die eigene Gemeinschaft hin ausgerichtet. Während die scholastische
Wahrheitsfindung über die Lateinschulen und Universitäten Eingang in die mo-
derne Gesellschaft fand, blieb dieses mit der Liturgie verbundene Wissen an die
spezielle Lebensform gebunden und verschwand nahezu vollständig mit der
Auflösung der Gemeinschaften.
Prof. Dr. Eva Schlotheuber
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Institut für Geschichtswissenschaften
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf
 
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