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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0222
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218 I Regina D. Schiewer

die volkssprachliche geistliche Literatur ist anderes zu konstatieren: Die frühen
deutschen Predigtkompendien, die mit großer Wahrscheinlichkeit im Kontext
der Einrichtung des neuen Konverseninstituts der Hirsauer entstanden und mit
Sicherheit dort tradiert wurden, hatten eine Wirkmacht, die weit über die refor-
merische Blüte der Hirsauer hinaus geht. Ihre Predigten wurden noch bis ins
14. Jahrhundert überliefert und gesammelt, in manchen Fällen sogar neu arran-
giert und zusammengestellt. Einzelne Predigten fanden Aufnahme in viel später
entstandene Sammlungen, so z. B. in die breit und bis ins 15. Jahrhundert über-
lieferte umfangreiche ,Postille1 des Heinrichs von Erfurt, die auch Predigten
Meister Eckharts und anderer Dominikaner aus dem Umfeld der deutschen
Mystik überliefert.62 Ein weiteres gut dokumentiertes Beispiel des Weiterwir-
kens Hirsauer Spiritualität ist die Rezeption des ,St. Trudperter Hohelieds‘ in
den zisterziensischen ,St. Georgener Predigtenh Mit der Überlieferung dieser
Sammlung lassen sich die Spuren der Hirsauer durch das ganze Mittelalter hin-
durch im ganzen deutschsprachigen Raum und bis in die Frühe Neuzeit zu den
modernen Devoten in den Niederlanden verfolgen.63 Zusammen mit den Au-
gustinerchorherren und den Zisterziensern waren es somit die Hirsauer, die
nicht unmaßgeblich daran beteiligt waren, dass sich die deutsche Sprache zu ei-
ner Sprache entwickelte, in der auch theologisch-katechetisch gedacht und argu-
mentiert werden konnte. Ihre Laienseelsorge trug also mittelbar dazu bei, dass
die deutsche Sprache von eigenständigen und wirkmächtigen Theologen wie
Meister Eckhart und Martin Luther genutzt werden konnte.
Dr. Regina D. Schiewer
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters (FGLM)
Marktplatz 7
85072 Eichstätt
Buch- oder Schriftwesen haben die Hirsauer eine eigenständige Formensprache mit einem
unverwechselbaren Profil hervorgebracht.“ Diese Feststellungen wurden insbesondere von
den Untersuchungen Felix Heinzers zu den Hirsauern deutlich relativiert
62 Vgl. hierzu Regina D. Schiewer, The ,Postil“ of Hartwig of Erfurt as a Preaching Tool, in:
Medieval Sermon Studies 45, 2001, S. 40-57; s. auch Schiewer/Schiewer, Predigt im Spät-
mittelalter (wie Anm. 21), hier S. 745.
63 Vgl. hierzu Seidel, ,Die St. Georgener Predigten“. Untersuchungen (wie Anm. 52), S. 221-
224, sowie die Edition: Regina D. ScHiEWER/Kurt Otto Seidel (Hgg.), Die St. Georgener
Predigten (Deutsche Texte des Mittelalters 90), Berlin 2010; Predigt Nr. 25 der ,St. George-
ner Predigten“ rezipiert das ,St. Trudperter Hohelied“. Eine Bearbeitung dieser Predigt ist in
der Limburger Predigt 31 enthalten: Wybren Scheepsma, The Limburg Sermons. Preaching
in the Medieval Low Countries at the Turn of the Fourteenth Century, übersetzt von David
F. Johnson, Leiden/Boston 2008, S. 276f.
 
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