Außerhalboderinnerhalb? I 239
insbesondere die des heiligen Benedikts von Nursia (530-540). Im Westen hat
die Begeisterung für das Eremitentum kontinuierlich dazu geführt, dass man zu
den orientalischen Vorbildern der Väterviten zurückkehrte, wie wir es beson-
ders gut bei den Kartäusern sehen können. Diese Neigung fehlte in keinem
Orden, nicht einmal den Bettelorden: In einem von Historikern nur selten dis-
kutierten Text riet der heilige Franziskus den Brüdern, die sich vorübergehend
in eine Einsiedelei zurückziehen wollten, zu viert zu gehen: Zwei von ihnen
sollten den Titel „Mütter“ annehmen und wie Martha im Dienste der anderen
beiden leben; letztere sollten den Titel „Töchter“ annehmen, sich wie Maria der
Kontemplation widmen und Almosen von den beiden anderen erhalten. Nach
einer Weile hatten sie die Rollen zu wechseln.6 Doch jenseits der gemeinsamen
Grundlagen von Eremitentum und Zönobitentum in Ost und West haben sich
die Unterschiede historisch immer weiter vertieft. Während die östlichen Mön-
che die Askese außerhalb der Welt (das vollendete Modell wurde ab dem 10. Jahr-
hundert der Berg Athos, der von der Welt abgeschnitten und auf dem jede weib-
liche Präsenz verboten war) in außerordentlicher Weise aufwerteten, hat das
lateinische Mönchtum bei aller Attraktivität der asketischen Modelle nie aufge-
hört, einen sehr ambivalenten Umgang mit dem weltlichen Klerus, der Laien-
welt und den Frauen zu haben, von dem Jakob von Vitry Zeugnis ablegt.
Mönche, Weltklerus und Laien
Wir könnten drei sich überlappende Kreise zeichnen, die es ermöglichen, an
ihren Überschneidungen die Interaktionsbereiche von Mönchen, Klerikern und
Laien darzustellen. Dieser Dreiteilung war man sich im Mittelalter durchaus
bewusst: Bereits der heilige Augustinus (354-430) - ihm folgte auch Gregor der
Große - hatte die tria genera hominum unter die dreifache Schirmherrschaft des
Propheten Daniel (die rehgiosi bzw. continentes), des Patriarchen Noah (die
clerici bzw. predicatores) und Hiobs {laici bzw. conjugati) gestellt.7 Jakob von
Vitry lässt sich davon inspirieren, indem er festlegt, dass alle Christen, einschließ-
6 „De religiosa habitatione in eremo“, in: H. Boehmer, Analekten zur Geschichte des Fran-
ziskus von Assisi, Tübingen/Leipzig 1904, S. 67-68. Die Opposition von Martha und Maria
wurde besonders in der monastischen Tradition untersucht: Giles Constable, „The Inter-
pretation of Mary and Martha“, in: Ders., Three Studies in Medieval Religious and Social
Thought, Cambridge, 1995, S. 1-141; Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaf-
ten. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und
Wandel, Regel und Gewohnheit (Vita Regularis, Band 35), Münster/Hamburg/London
2010, S.262f.
7 Gert Melville, Die Welt der mittelalterlichen Klöster (wie Anm. 1), S. 271.
insbesondere die des heiligen Benedikts von Nursia (530-540). Im Westen hat
die Begeisterung für das Eremitentum kontinuierlich dazu geführt, dass man zu
den orientalischen Vorbildern der Väterviten zurückkehrte, wie wir es beson-
ders gut bei den Kartäusern sehen können. Diese Neigung fehlte in keinem
Orden, nicht einmal den Bettelorden: In einem von Historikern nur selten dis-
kutierten Text riet der heilige Franziskus den Brüdern, die sich vorübergehend
in eine Einsiedelei zurückziehen wollten, zu viert zu gehen: Zwei von ihnen
sollten den Titel „Mütter“ annehmen und wie Martha im Dienste der anderen
beiden leben; letztere sollten den Titel „Töchter“ annehmen, sich wie Maria der
Kontemplation widmen und Almosen von den beiden anderen erhalten. Nach
einer Weile hatten sie die Rollen zu wechseln.6 Doch jenseits der gemeinsamen
Grundlagen von Eremitentum und Zönobitentum in Ost und West haben sich
die Unterschiede historisch immer weiter vertieft. Während die östlichen Mön-
che die Askese außerhalb der Welt (das vollendete Modell wurde ab dem 10. Jahr-
hundert der Berg Athos, der von der Welt abgeschnitten und auf dem jede weib-
liche Präsenz verboten war) in außerordentlicher Weise aufwerteten, hat das
lateinische Mönchtum bei aller Attraktivität der asketischen Modelle nie aufge-
hört, einen sehr ambivalenten Umgang mit dem weltlichen Klerus, der Laien-
welt und den Frauen zu haben, von dem Jakob von Vitry Zeugnis ablegt.
Mönche, Weltklerus und Laien
Wir könnten drei sich überlappende Kreise zeichnen, die es ermöglichen, an
ihren Überschneidungen die Interaktionsbereiche von Mönchen, Klerikern und
Laien darzustellen. Dieser Dreiteilung war man sich im Mittelalter durchaus
bewusst: Bereits der heilige Augustinus (354-430) - ihm folgte auch Gregor der
Große - hatte die tria genera hominum unter die dreifache Schirmherrschaft des
Propheten Daniel (die rehgiosi bzw. continentes), des Patriarchen Noah (die
clerici bzw. predicatores) und Hiobs {laici bzw. conjugati) gestellt.7 Jakob von
Vitry lässt sich davon inspirieren, indem er festlegt, dass alle Christen, einschließ-
6 „De religiosa habitatione in eremo“, in: H. Boehmer, Analekten zur Geschichte des Fran-
ziskus von Assisi, Tübingen/Leipzig 1904, S. 67-68. Die Opposition von Martha und Maria
wurde besonders in der monastischen Tradition untersucht: Giles Constable, „The Inter-
pretation of Mary and Martha“, in: Ders., Three Studies in Medieval Religious and Social
Thought, Cambridge, 1995, S. 1-141; Jörg Sonntag, Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaf-
ten. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und
Wandel, Regel und Gewohnheit (Vita Regularis, Band 35), Münster/Hamburg/London
2010, S.262f.
7 Gert Melville, Die Welt der mittelalterlichen Klöster (wie Anm. 1), S. 271.