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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0300
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296 I Matthias M. Tischler

späte Antwort auf Petrus Venerabilis’ Contra sectam Sarracenorum, für den er
nicht mehr auf die Polemik des Pseudo-al-Kindi, sondern auf den Qur’än selbst
rekurrierte, um diesen systematisch zu widerlegen.67 Damit war nach individu-
ellen Vorarbeiten des wenig bekannten Dominos Marrochinus,68 des ehemali-
gen Dominikanergenerals Humbert von Romans69 und des schon erwähnten
Ramon Marti70 die Wende in der Nutzung des cluniazensischen Corpus Islamo-
Christianum eingeleitet. Denn erst mit Riccoldos sehr erfolgreichem Werk be-
gann die mittelalterliche Wirkungsgeschichte des cluniazensischen Islam-Cor-
pus, die bis zu Luthers Qur’än-Ausgabe von 1543 reicht, in der auch Riccoldos
Werk (wenn auch in einer jüngeren lateinischen Rückübertragung aus dem Grie-
chischen von 1506) abgedruckt wurde.71
5. Charisma und Institution in der „vita religiosa"
angesichts des Islam
Innovativ an Petrus’ Islamprojekt war, dass er die seit Jahrhunderten bestehende
mentale und religiöse Barriere der grundsätzlichen Ablehnung einer theologi-
schen Auseinandersetzung mit der kaum bekannten Lehre des Muhammad
überwunden und diesen Diskurs in den größeren Rahmen der Verteidigung der
Kirche gegen Judentum und Häresie integriert hatte. Petrus’ Einschätzung, den
Islam als Höhepunkt und Zusammenfassung aller Häresien, wenn auch mit
heidnischen Bestandteilen zu sehen, erweist ihn als eine Figur des Übergangs
von älteren zu jüngeren Wahrnehmungsmustern. Seine intellektuelle Leistung
ist zugleich Höhe- und Endpunkt der traditionellen monastischen Auseinander-
setzung mit den Juden und Muslimen. Denn sein unmittelbares Umfeld war mit
dieser Lösung noch überfordert. So hinterließ er künftigen Generationen inner-
halb und außerhalb der monastischen Milieus ein Erbe für die Kirche und Ge-
sellschaft des lateinischen Westens und stieß einen Lernprozess an, der letztlich
67 Tischler, ,Lex MahometF (wie Anm. 6), S. 562-567. Zu Riccoldos arabischem Korancodex
Paris, Bibliotheque nationale de France, Ms. arabe 384 vgl. Thomas E. Burman, How an
Italian friar read his Arabic Qur’an, in: Dante Studies 126, 2007, S. 93-109.
68 Tischler, Koranübersetzung (wie Anm. 48), S. 53.
69 Zu seiner bislang kaum beachteten Beschäftigung mit dem lateinischen Koran vgl. Tischler,
Koranübersetzung (wie Anm. 48), S. 52; Ders., ,Lex MahometF (wie Anm. 6), S. 555-560.
70 Tischler, Koranübersetzung (wie Anm. 48), S. 53; Ders., ,Lex MahometF (wie Anm. 6),
S.551-555.
71 Martin Michael Bauer, Stille Post. Die Übersetzungen von Ricoldus de Monte Crucis’ kon-
tra legem Sarracenorum“ in Biblianders Koranausgabe von 1543, in: Ulrike Bechmann e. a.
(Hgg.), Der Islam im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes, Graz 2014, S. 103-126, hier
S. 103 und 113-123.
 
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