Warum Clunys Islamprojekt zunächst scheitern musste I 297
bis heute andauert. Religiöses und intellektuelles Charisma kann also bedeuten,
im eigenen Zeitkontext zu scheitern, aufgrund von Weitsicht aber dennoch ein
erfolgreiches Werk zu hinterlassen, dessen Potential erst in neuen Konstellatio-
nen erkannt und ausgeschöpft wird.72 73 Erfolg hatte Clunys Islam-Projekt erst, als
es in der allgemeinen Krise des Christentums angesichts des Islam in die institu-
tionalisierten Bildungsstrukturen des neuen Reformordens der Dominikaner zu
pastoralen und theologischen Zwecken überführt wurde und in dieser verwan-
delten Form mittels der verbesserten Kommunikationsstrukturen des Ordens
weite Nutzung und Verbreitung erfuhr.
Gleichwohl muss am Schluss dieses Beitrags die Frage gestellt werden, ob
nicht jenseits persönlicher und institutioneller Faktoren der „vita religiosa“
noch eine dritte Größe über den Erfolg oder Misserfolg monastischer Kräfte in
der Auseinandersetzung mit religiöser Alterität entschied. Nicht gefragt wurde
nämlich bislang, warum ausgerechnet die „vita religiosa“ für einen erfolgrei-
chen Austausch mit Juden und Muslimen die geeignetste, weil vorbildlichste
Umsetzung der christlichen Lebensform gewesen sein soll. Geraten wir hier
nicht in die Falle mittelalterlicher Wahrnehmungs- und Deutungsmodelle?
Deren Bild mag zwar der Selbstwahrnehmung monastischer Kreise bis ins
12. Jahrhundert entsprochen haben - so sicher dem Selbstverständnis des in die
eigene christliche Gesellschaft hineinwirkenden älteren und jüngeren Reform-
mönchtums eines Petrus Venerabilis und Bernhard von Clairvaux. Aber wurde
das bis an die Ränder des Christentums expandierte monastische Lebensmo-
dell auch in der Fremdwahrnehmung der Juden und Muslime als überzeugen-
des Vorbild gesehen? Angesichts der geringen Erfolge der christlichen
,Missions‘bemühungen mag man das eher bezweifeln,7j zumal dieser Befund
erklären könnte, warum es seit dem 13. Jahrhundert in immer neuen Schüben
zu einer Anpassung der religiösen Lebensformen zu immer offeneren religiö-
sen Konzeptionen wie dem Semireligiosentum und schließlich dem neuen, von
allen, insbesondere Laienchristen, getragenen Lebens- und Missionsmodell
des Ramon Llull gekommen ist.74 Damit soll keineswegs in Frage gestellt
72 Zur hier vorliegenden ,latenten' und ,ausstehenden' Aktualität des Mittelalters („l’acualite
latente“/„l’actualite ä venir“) vgl. Alain de Libera, Penser au Moyen Äge (Chemins de pen-
see), Paris 1991, S. 68-72.
73 Gestalten wie der konvertierte Sefarde Petrus Alfonsi oder wie einige in den Dominikaner-
orden eingetretene Juden des 13. Jahrhunderts sind doch eher die Ausnahme. Von (prominen-
ten) konvertierten Muslimen vernehmen wir fast gar nichts.
74 In diesem Zusammenhang sind auch erneut das seit Papst Innozenz IV. 1248 nachweisbare
Bemühen um Einrichtung eines theologischen .Orientstudiums' an der Pariser Sorbonne
und die auf dem Konzil von Vienne 1312 beschlossene Errichtung mehrsprachiger Orient-
studien im Kontext der römischen Kurie sowie der vier wichtigsten „studia generalia“ des
bis heute andauert. Religiöses und intellektuelles Charisma kann also bedeuten,
im eigenen Zeitkontext zu scheitern, aufgrund von Weitsicht aber dennoch ein
erfolgreiches Werk zu hinterlassen, dessen Potential erst in neuen Konstellatio-
nen erkannt und ausgeschöpft wird.72 73 Erfolg hatte Clunys Islam-Projekt erst, als
es in der allgemeinen Krise des Christentums angesichts des Islam in die institu-
tionalisierten Bildungsstrukturen des neuen Reformordens der Dominikaner zu
pastoralen und theologischen Zwecken überführt wurde und in dieser verwan-
delten Form mittels der verbesserten Kommunikationsstrukturen des Ordens
weite Nutzung und Verbreitung erfuhr.
Gleichwohl muss am Schluss dieses Beitrags die Frage gestellt werden, ob
nicht jenseits persönlicher und institutioneller Faktoren der „vita religiosa“
noch eine dritte Größe über den Erfolg oder Misserfolg monastischer Kräfte in
der Auseinandersetzung mit religiöser Alterität entschied. Nicht gefragt wurde
nämlich bislang, warum ausgerechnet die „vita religiosa“ für einen erfolgrei-
chen Austausch mit Juden und Muslimen die geeignetste, weil vorbildlichste
Umsetzung der christlichen Lebensform gewesen sein soll. Geraten wir hier
nicht in die Falle mittelalterlicher Wahrnehmungs- und Deutungsmodelle?
Deren Bild mag zwar der Selbstwahrnehmung monastischer Kreise bis ins
12. Jahrhundert entsprochen haben - so sicher dem Selbstverständnis des in die
eigene christliche Gesellschaft hineinwirkenden älteren und jüngeren Reform-
mönchtums eines Petrus Venerabilis und Bernhard von Clairvaux. Aber wurde
das bis an die Ränder des Christentums expandierte monastische Lebensmo-
dell auch in der Fremdwahrnehmung der Juden und Muslime als überzeugen-
des Vorbild gesehen? Angesichts der geringen Erfolge der christlichen
,Missions‘bemühungen mag man das eher bezweifeln,7j zumal dieser Befund
erklären könnte, warum es seit dem 13. Jahrhundert in immer neuen Schüben
zu einer Anpassung der religiösen Lebensformen zu immer offeneren religiö-
sen Konzeptionen wie dem Semireligiosentum und schließlich dem neuen, von
allen, insbesondere Laienchristen, getragenen Lebens- und Missionsmodell
des Ramon Llull gekommen ist.74 Damit soll keineswegs in Frage gestellt
72 Zur hier vorliegenden ,latenten' und ,ausstehenden' Aktualität des Mittelalters („l’acualite
latente“/„l’actualite ä venir“) vgl. Alain de Libera, Penser au Moyen Äge (Chemins de pen-
see), Paris 1991, S. 68-72.
73 Gestalten wie der konvertierte Sefarde Petrus Alfonsi oder wie einige in den Dominikaner-
orden eingetretene Juden des 13. Jahrhunderts sind doch eher die Ausnahme. Von (prominen-
ten) konvertierten Muslimen vernehmen wir fast gar nichts.
74 In diesem Zusammenhang sind auch erneut das seit Papst Innozenz IV. 1248 nachweisbare
Bemühen um Einrichtung eines theologischen .Orientstudiums' an der Pariser Sorbonne
und die auf dem Konzil von Vienne 1312 beschlossene Errichtung mehrsprachiger Orient-
studien im Kontext der römischen Kurie sowie der vier wichtigsten „studia generalia“ des