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Burkhardt, Julia; Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 1): Analyse und Anhänge — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.56852#0078
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II.3. Die ideale Gemeinschaft

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Die Grundlage für diese Ausdeutung bildet die in den König (rex apum) und sein
Volk (populus) gegliederte Bienengemeinschaft, die sinnbildlich für die Gemein-
schaft aller Gläubigen steht. Die Identifizierung des Bienenkönigs als männliches
Tier spiegelt dabei den zeitgenössischen Wissensstand wider und versetzt allein mo-
derne Leser in Erstaunen: Erst im 17. Jahrhundert gelang der naturkundliche Nach-
weis, dass es sich bei „dem König“ biologisch um eine Königin handelt.168
An der strikten Unterteilung der Bienengemeinschaft in zwei Einheiten orientiert
sich auch die Gliederung des „Bienenbuchs“: Buch I ist den Vorstehern (prelati) oder
auch „Bienenkönigen“ gewidmet, Buch II den Untergebenen (subditi) bzw. dem Bie-
nenvolk. Das deutlich kürzere Buch I (ca. 20 % des gesamten Textes) beschreibt die
erforderlichen Eignungen eines Vorstehers, die Modalitäten seiner Amtseinsetzung
sowie seine Befugnisse und Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, während
sich Buch II ausführlich mit den Aufgaben, Pflichten und Organisationsprinzipien
des Bienenvolks befasst. Einmal mehr sei darauf hingewiesen, dass es fraglich ist, ob
sich die im Folgenden kursorisch wiedergegebene Systematik mittelalterlichen Nut-
zern überhaupt erschloss bzw. ob das umfangreiche Werk als geschlossenes Kompen-
dium rezipiert wurde; umso mehr ist jedoch dessen komplexe Struktur zu würdigen,
die es immerhin ermöglichte, gezielt einzelne Themenaspekte nachzuschlagen und
zu vertiefen.
Schon die soziale Distinktion selbst, aber auch die gewählten Begrifflichkeiten
offenbaren, wie sehr Thomas von Cantimpre von dominikanischen Strukturen ge-
prägt war. Die Gegenüberstellung von prelati und subditi findet sich bereits in den
dominikanischen Konstitutionen und bestimmte auch die festgelegten Befehlsstruk-
turen innerhalb des Ordens. Während nämlich die Oberen, also der Generalmagister,
die Provinzial- oder Konventualprioren „von oben“ bestimmten, übten die Unterge-
benen, also die einfachen Brüder und Konvente, ihrerseits eine Kontrolle „von unten“
aus.169 Die gewählten Begrifflichkeiten künden aber auch ganz grundsätzlich vom
Stellenwert der hierarchischen Ordnung eines sozialen Gefüges. Ohne ein Haupt,
also ohne einen Vorsteher, könne es keine Gemeinschaft geben, argumentierte Tho-
mas. So wie sich ein Bienenkönig inmitten der Bienen befinden sollte, wenn diese

168 Den biologischen Beweis erbrachte der niederländische Arzt Jan Swammerdam (1637-1680). Vgl.
Swammerdam, Historia insectorum, S. 92: Apes. Harum nobis sunt I. Rex, aut verius regina, siqui-
dem sequioris sexus est [...] quae perbelle distinguuntur in Fucis seu Regibus; & Reginis, quae
tralatitio errore Reges solent salutari. S. außerdem Swammerdams spätere Reflexion dieser Funde
in: Swammerdam, Bibel der Natur, S. 149-219, bes. S. 149: „Ich habe daselbst insonderheit von den
Bienen zu erweisen auf mich genommen, daß ihr so genannter Koenig das Weibgen, die Hum-
mel das Maenngen, und die gemeinen Bienen keines und zugleich etwas von beyden sind.“ Zur
Geschlechterordnung historischer Insektenordnungen s. Johach, Matriarchale Versuchung sowie
Berrens, Soziale Insekten, S. 218-243.
169 Dazu Cygler, Funktionalität, besonders S. 416. S. außerdem Dücker, Vorstellungen von Gemein-
schaft sowie Showalter, Business of Salvation.
 
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