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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0087
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86 I Jens Röhrkasten

verfremdet wurde. In Thomas von Celanos Memoriale aus der Mitte der 1240er
Jahre erkennt Innozenz III. bereits bei der ersten Begegnung mit dem „Po-
verello", dass Gott aus Franziskus spricht.34 Bonaventura verstand es, dem Phä-
nomen Franziskus eine eschatologische Komponente zu geben und daraus in der
Legenda maior eine neue Version der Gestalt des Ordensgründers zu geben, die
des angelus sexti sigilli.35 Allerdings sollte sich bereits wenige Jahrzehnte später
zeigen, dass das Potential der Superlativen damit noch nicht erschöpft war, denn
in den Actus beati Francisci erscheint der Heilige schließlich als alter Christus,36
eine Einordnung, die in dem monumentalen Werk des Bartholomäus von Pisa
durch eine sorgfältige Argumentationsführung unterstützt werden sollte.37
Diese Skizze der zeitgenössischen Charakterisierungen lässt bereits eine Ent-
wicklung erahnen, in der eine Transformation des charismatischen Ordens-
gründers von einer lebenden und präsenten Person zu einem religiösen Symbol
stattfand, dessen Rolle als Integrationsfigur anerkannt und notwendig war, de-
ren Deutung allerdings umstritten blieb. Der Transformationsprozess von ei-
nem apostelgleichen und christusnahen Bußprediger zu einem alter Christus ist
im Zusammenhang mit den Veränderungen des Ordens im 13. Jahrhundert zu
sehen, die auf drei Ebenen beobachtet werden können. Sie betreffen 1.) die Stel-
lung des Ordens im Rahmen des Kirchenrechts, 2.) die Praxis des Ordenslebens
und manifestieren sich 3.) in der Veränderung der Zusammensetzung der Ge-
meinschaft. Die juristischen Eckpunkte des Wandels können mit den Bullen
Quo elongati (1230), Ordinem vestrum (1245), Exiit qui seminat (1279) sowie
Exultantes in domino (1283) markiert werden. Hier geht es um die Praxis der
freiwilligen Armut, den Aspekt franziskanischen Lebens, der den Orden am
stärksten charakterisiert hat. In Quo elongati wird neben dem amicus spiritualis

34 Thomas de Celano. Memoriale. Editio critico-synoptica duarum redactionum ad fidem cod-
icum manuscriptorum, hg. von Felice AccROCCA/Aleksander Horowski (Subsidia Scienti-
fica Franciscalia, 12), Rom 2011, S. 459.

35 David Flood, Franziskus und die Offenheit der Geschichte, in: Franziskus von Assisi (wie
Anm. 9), S. 97-106, hier S. 98. Bonaventura, Legenda maior, Fontes Franciscani, hg. von
Menestö/Brufani (wie Anm. 17), S. 778: et ipse Angelus verae pacis, secundum imitatoriam
quoque similitudinem Praecursoris destinatus a Deo, ut viam parans in deserto altissimae
paupertatis, tarn exemplo quam verbo poenitentiam praedicaret. [...] sub similitudine Angeli
ascendentis ab ortu solis signumque Dei vivi habentis adstruitur non immerito designatus.
Sub apertione namque sexti sigilli vidi, ait loannes in Apocalypsi, alterum Angelum ascenden-
tem ab ortu solis, habentem signum Dei vivi. Stephan Bihel, S. Franciscus fuitne angelus
sexti sigilli?, in: Antonianum 2 (1927), S. 59-90, hier S. 63-65. Joseph Ratzinger, Die Ge-
schichtstheologie des heiligen Bonaventura, München 1959, S. 33-36.

36 Actus beati Francisci, Fontes Franciscani, hg. von Menestö/Brufani (wie Anm. 17),
S. 2085-2219, hier S. 2098. Fleming, An Introduction (wie Anm. 5), S. 67.

37 Hilarin Felder, Die Ideale des hl. Franziskus von Assisi, Paderborn 61951, S. 28-30.
 
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