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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0391
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390 I Vanina Kopp

Beide Autoren sahen die Notwendigkeit, in dieser Scharnierzeit dem jungen
König Rat und Instrumente in die Hand zu geben, um an das politische Werk
seines Vaters anzuknüpfen. Inwiefern sie Erfolg damit hatten, ist schwer abzu-
schätzen. Mit zwanzig übernahm Karl VI. die Regierung, er löste sich aus dem
Schatten seiner Onkel, die vorher vor allem im Eigeninteresse geleitet regiert
hatten. Der junge König griff ab 1388 wieder zurück auf die Gruppe der Mar-
mousets seines Vaters, die eine Balance zwischen Realpolitik und dem Sturm
und Drang des ritterlichen Königs zu garantieren versuchten. Im Jahre 1392
jedoch brach seine Geisteskrankheit aus, die ihn in immer wiederkehrenden
Schüben und bis zu seinem Tod im Alter von 53 Jahren von der Regierungsaus-
übung fernhielt. Dieses Machtvakuum ist sicher neben ähnlichen Machtvakan-
zen auf englischer Seite, dem Schisma, und den personenunabhängigen Struk-
turen wie wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen einer der Gründe, der
zu außenpolitischen Niederlagen und innenpolitischem Bürgerkrieg, angetrie-
ben von seinen männlichen Verwandten, beitrug. Es ist müßig zu spekulieren,
wie ein mental und körperlich gesunder, von jeher als zukünftiger König erzo-
gener und ausgebildeter Karl VI. mit guten Beratern an seiner Seite auf lange
Sicht regiert hätte.
Die Geisteskrankheit konnte auch Karrieren von potentiellen Beratern ver-
hindern. Der historisch schwer fassbare und obskure Autor Pierre Salmon,
eventuell ein Dominikaner, versuchte sein Beraterglück zwei Mal vergeblich. In
Form eines königlichen Katechismus, in dem der König Fragen zur guten Regie-
rung an Salmon stelle, versuchte er, sich als Berater und Familiar zu stilisieren.67
Sein Fürstenspiegel, in einer Luxushandschrift erhalten,68 enthält drei Teile: ers-
tens einen fiktionalen Dialog zwischen dem König und seinem Berater Salmon
über Themen des königlichen und höfischen Verhaltens; zweitens einen Kate-
chismus für den König über die Bibel; drittens eine Erzählung der geheimen Mis-
sionen, die Salmon anvertraut wurden, und, in der zweiten Version, ebenfalls
eine Übersetzung und Nachahmung des Textes De la consolation de Philosophie
von Boethius in Französisch. Vor allem der dritte Teil ist hier von Interesse und
innovativ. Salmon beschreibt sich als Protagonist in einem abenteuerlichen Road-
movie, das ihn im Auftrag des Herzogs von Burgund durch Europas Königs-

67 Anne Hedeman, Of counselors and kings. The 3 Versions of Salmon's Dialogues, Urbana
2001; Anne Hedeman, Constructing memories: Scenes of conversation and presentation in
Pierre Salmon's Dialogues, in: Journal of the Walters Art Gallery 54 (1996), S. 119-134; Bri-
gitte Roux, Les dialogues de Salmon et Charles VI. Images du pouvoir et enjeux politiques,
Genf 1998.

68 Paris, Bibliotheque nationale de France, ms. fr. 23279, zum Bildprogramm der beiden Ver-
sionen vgl. Hedeman, Constructing Memories (wie Anm. 67).
 
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