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Frahm, Eckart; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 3): Historische und historisch-literarische Texte — Wiesbaden: Harrassowitz, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.32131#0154
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Nr. 74

141

Bemerkungen:

VAT 9981 wäre, wenn besser erhalten, gewiß ein sehr interessanter Text. Die lesbaren Partien mit ihren Erwähnungen Marduks,
Babylons und des Esagil-Tempels, der „Königin des Apsü", nächtlicher Aktivitäten, unglücklicher Mädchen und Frauen, Pazuzus und
Alulus regen zu mancherlei Spekulationen an. Da die angesprochenen Themen in dieser Kombination in keinem anderen bekannten
Text bezeugt sind, läßt sich über den Skopus von VAT 9981 jedoch vorerst kein auch nur ansatzweise zuverlässiges Urteil fällen.
Auch die Form des Textes und damit seine Gattungszugehörigkeit bleiben weitgehend unklar. Seite a scheint dialogisch organisiert
zu sein. Hier findet sich eine mit mehrfachem anäku „ich" durchsetzte längere Anrede einer offenbar eng mit Marduk verbundenen
weiblichen Gottheit (man beachte talliki in Z. 5’) sowie eine Entgegnung hierauf, die in Z. 15’ mit einem Verbum des Sprechens in
der 3. Ps. Sg. abgeschlossen (oder angekündigt) wird. Seite b der Tafel bietet, soweit erhalten, ausschließlich Verbalformen der 3. Ps„
doch zumindest die Zeilen 2’-3’, deren Verbalformen Suffixpronomina der 1. Ps. Sg. aufweisen, könnten wiederum Teil einer direkten
Rede sein, wohl der einer weiblichen Person.

Die Sprache des Textes ist ein mit Assyriasmen angereichertes Babylonisch. (Mittel)assyrische Elemente finden sich in Seite
a 10’: kallutu kattuntu (Vokalharmonie, Bildung des Verbaladjektivs des D-Stamms nach dem Muster parrusu statt purrusu und
Teilassimilation m > n vor Dental) und 16’: altamme (st > It).

Der Grund, wamm VAT 9981 Aufnahme in den vorliegenden Band gefunden hat, ist die mehrfache Erwähnung von ^A-lu-lu in
den Zeilen 4’ (in Verbindung mit dem Wort sarru „König"), 9’ (erneut nach sarrü) und 14’ von Seite b. Da mit dem Personenkeil
geschrieben, kann wohl ausgeschlossen werden, daß Alulu an den entsprechenden Stellen als Variante von alälu/alili „ein Arbeitslied
(bzw. die Lautform des entsprechenden Gesangs)" zu interpretieren ist. Offensichtlich liegt vielmehr eine auch sonst bezeugte spätere
Form des Namens jenes Mannes vor, den die mesopotamische Tradition als ersten irdischen König betrachtete. Von ihm ist in einer
Reihe sehr unterschiedlicher Texte und in verschiedenen Schreibungen die Rede. In der Sumerischen Königsliste und der Dynastischen
Chronik, die seine Regierungszeit mit 28800 bzw. 36000 Jahren beziffern, firmiert er als Ä-lulim!A-lu-lim und ist König von Eridu (Th.
Jacobsen, The Sumerian King List, 70f.; J.-J. G1 assner, Mesopotamian Chronicles, 118f„ i 3f„ 128f„ i 11). Das weitverbreitete, in einer
einsprachig sumerischen und einer sumerisch-akkadischen Fassung überlieferte „Poem of Early Rulers" nennt den König ^A-lu-lu und
fragt in elegischem Ton nach seinem Verbleib (B. Alster, Wisdom of Ancient Sumer, 288-323). In der spätzeitlichen Hen'scherliste W
20030,7, Z. 1 (J. van Dijk, UVB 18,44-52) trägt er den Namen A-a-lu (man beachte, daß ajjälu ebenso ein Wort für „Hirsch" ist wie
lulTmu), und bei Berossos schließlich heißt er Aloros (siehe G. P. Verbrugghe - J. M. Wickersham, Berossos and Manetho, 47-49).
Berossos’ Aloros ist nicht mehr Herrscher von Eridu, sondern von Babylon, so wie offenbar auch der König des vorliegenden Textes.
Diese Verschiebung dürfte das Resultat lokalpatriotischer Bemühungen von in Babylon ansässigen Gelehrten gewesen sein, die die
Anfänge ihrer Stadt in der Urzeit zu verankern versuchten, indem sie sie mit Eridu identifizierten (siehe A. R. George, BTT, 251-53).
König Alulu ist auch in Beschwömngsritualen bezeugt: W. G. Lambert - A. R. Millard, Atra-hasis, 27 verweisen auf BM 45686 (81-
7-6,91), wo es in i 19, i 25 und ii 12 heißt: EN A-lu-lu sarru sä la-mu a-bu-bu „Beschwörung: Alulu, König vor der Flut“; i 21 lautet:
EN A-lu-lu sä-nu-ü-um. Weitergehende historische Anspielungen scheint der unpublizierte Text, der offenbar mit BM 55561 (82-7-4,
151, ebenfalls unpubliziert) joint, nicht zu enthalten. Das von D. B. Weisberg in OIP 122 als Nr. 168 (Kopie: Pl. 67) vorgelegte, aus
Nippur stammende und bislang unidentifizierte Fragment A 33250 ist gewiß ein Duplikat zu BM 45686+; die erste Zeile des leider
massiv beschädigten Textes lautet: A-lu-lu LUGAL säi la-mu ra'-b[u-bu\. In einem anderen Ritualtext, STT 176 ((+) 185), Z. 14’(-
17)ff. (Join: E. Reiner, JNES 26 (1967), 208) wird aus einem angeblichen Brief des mythischen Weisen Adapa an Alulu zitiert. Der
fragliche Textabschnitt, der schwer verständlich ist, beginnt mit den Worten: a-na 1A-lu- rlü cp-bi-ma u[m-m]a lA-da(Text: IS)-/m
ap-kal-um-ma „Sprich zu Alulu: Folgendes (vermeldet) der Weise Adapa.“ N. Veldhuis, OLP 21 (1990), 40 ordnet den Text in die
Tradition der sog. „Heart Grass“-Beschwömngen ein. Auch in epistolarischem Kontext wird auf Alulu verwiesen. Der babylonische
Gelehrte Asaredu wünscht dem assyrischen König in einem Brief: Bel u Nabü sanäti sa lA-lu-[lu/lim ana sarri] bellja liqTsü „Bel und
Nabü mögen [dem König], meinem Herrn, die Jahre des Alulu/im schenken“ (SAA 10, no. 158, Z. 4f.).

Alulu fungierte in Mesopotamien also durch alle Zeiten hindurch als eine populäre legendäre Gestalt, die in sehr unterschiedlichen
historisch-literarischen und religiösen Zusammenhängen aufgemfen werden konnte. Leider läßt sich keiner der in den vorstehenden
Absätzen genannten Texte als Duplikat zu VAT 9981 bestimmen oder für ein besseres Verständnis des fraglichen Bmchstücks
heranziehen.

Kurz vor Abschluß des Manuskripts hat mir Stefan Jakob seine eigene Umschrift von VAT 9981 zugehen lassen, die an einigen Stellen
verbesserte Lesungen ermöglicht hat; ich bin ihm hierfür sehr verbunden.

Seite a
4’:

5’:

6’:

8’:

10’:

11 ’:

Tse' 1-ni ist unsicher, doch wird wohl kaum i+na- C-ni zu lesen sein.

Die Verbindung von sumu (MU) und mahäru ist sonst ungebräuchlich, was gegen eine mögliche Übersetzung „Ich empfing
einen Namen / Nachkommen / Ruhm“ spricht.

bäb iläni rabüti könnte, wenn richtig gelesen, ein etymologisch motiviertes Beiwort von Bäbili „Babylon“ sein.

Die Lesung 'kaä --si-ia folgt einem Vorschlag S. Jakobs; alternativ könnte man, allerdings nur unter großem Vorbehalt, an x
IR(A-IGI)-/'rt denken. IGI ist offenbar über die Spuren eines zuvor radierten Zeichens geschrieben, und Rasuren könnten auch
davor die korrekte Lesung der Zeichenspuren erschweren.

Die poetische Formuliemng musltu kallatu kuttumtu ist belegt in Maqlü 12 (G. Meier, Die assyrische Beschwörungssammlung
Maqlü, 7), dem zugehörigen Kommentar KAR 94, Z. 6 und den Beschwörungstexten LKA 135, Rs. 9 und STT 73, Z. 40,53.
Warum im vorliegenden Text die pluralische Form musiätu gebraucht wird, bleibt unklar.

Meiner Kopie nach wäre am Schluß der Zeile eher KÄ.DINGIR rNIBRU ,?(EN. rLIL 1?) rkil? rpa 1? re 1? rki 1? zu lesen, doch
 
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