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Ritualbeschreibungen und Gebete I

zusammengehöriger Tontafelfragmente zu verzeichnen sind, 10
keine weiteren Bände der Keilschrifttexte aus Assur literarischen
Inhalts mit nur einer einzigen Textgattung der mesopotamischen
»Beschwörungskunst« füllen.

Den vielen weiteren, in der Regel stark beschädigten Tafeln
aus Assur,die zur Überiieferung der »Beschwörungskunst« zählen
und unveröffentlicht blieben, ist in der Reihe Keilschrifttexte aus
Assur literarischen Inhalts eine Folge von Bänden vorbehalten,
die den Titel Ritualbeschreibungen uncl Gebete trägt. In den dort
zu veröffentlichenden Tafelbruchstücken bleibt aufgrund ihres
nicht selten kläglichen Erhaltungszustandes das Anliegen eines
Rituals, eines Bittgebetes oder einer Beschwörung oft unklar,
und meist läßt sich dann auch die Gattung des vorliegenden
Textes nicht mehr eindeutig bestimmen. Bei Tafelbruchstücken,
die ausschließlich Passagen eines Gebetes enthalten, bleibt
außerdem strittig, ob der Wortlaut des Gebetes - wie so oft
- im Rahmen einer Ritualbeschreibung niedergeschrieben
wurde, oder ob das Fragment zu einer Tafel gehört, die
lediglich ein Gebet oder eine Sammlung von Gebeten enthielt.
Der Titel Ritualbeschreibungen und Gebete versucht dieser
materialbedingten Unschärfe Rechnung zu tragen.

In dem ersten, hier vorgelegten Band mit Ritualbeschrei-
bungen und Gebeten können immerhin noch zwei größere
Textgruppen der »Beschwörungskunst« präsentiert werden. Im
Mittelpunkt des vierten Bandes der Keilschrifitexte aus Assur
literarischen Inhalts stehen zum einen mehr als zwanzig bislang
unveröffentlicht gebliebene Beschreibungen von »Löseritua-
len« (nam-bür-bi), mit deren Hilfe ein durch ein Vorzeichen
angekündigtes Unheil abgewendet werden sollte, noch bevor
es spürbare Gestalt angenommen hatte (Texte Nr. 1-21; vgl.
auch die Texte Nr. 22-23 und Nr. 67). Die im Jahr 1994 von
Stefan M. Maul vorgelegte Edition dieser Texte * 11 findet hier-
in eine beachtliche Erweiterung. Zum anderen können zwanzig
bisher unpublizierte Fragmente von akkadischen »Handerhe-
bungsgebeten« (su-fl-lä) und anderen in Ritualbeschreibungen
eingefügten Gebeten vorgelegt werden (Texte Nr. 54-73). Der
von W. R. Mayer erfaßte Textbestand 12 wird hierdurch abgerun-
det. In KAL 4 werden darüber hinaus weitere Beschreibungen
von Ritualen und Therapien zur Abwehr von Unheil, Krankheit
und Bösem erstmals zugänglich gemacht (Texte Nr. 24-52).
Darunter befinden sich auch, als Nachtrag zu dem zweiten Band
der Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts, weitere Ritu-
ale und Beschwörungen gegen Schadenzauber (Texte Nr. 24-33;
vgl. auch Text Nr. 38). Die aus neun kleinen Bruchstücken zu-
sammengefügte Tafel Text Nr. 53 schließlich enthält Anleitun-
gen für ein Orakel, das verspricht, jederzeit schnell, preisgünstig
und ohne großen Aufwand feststellen zu können, ob das Anlie-
gen des Fragestellers in der Gunst der Götter steht und in Erfül-
lung gehen wird oder nicht.

10 In der Forschungsstelle wurden bisher etwa 250 Textzusammenschlüsse
durchgeführt. Hinzu kommt etwa die gleiche Zahl von vermuteten, aber noch
nicht überprüften Textzusammenschlüssen und von sog. indirekten Joins.

11 S. M. Maul, Zukunftsbewältigung. Eine Untersuchung altorientalischen
Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi),
BaF 18,Mainz 1994.

12 W. [R.] Mayer, Untersuchungen zur Formensprache der babylonischen
„Gebetsbeschwörungen“, Studia Pohl, Series Maior 5, Roma 1976 sowie
O. Loretz, W. R. Mayer, Su-ila-Gebete. Supplement zu L. W. King,
Babylonian Magic and Sorcery, AOAT 34, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn
1978.

Die Herkunft der Texte

Die beispiellose, zwölfjährige Odyssee, die den Funden aus
Assur beschieden war, bevor diese schließlich im Berliner
Vorderasiatischen Museum anlangten, 13 hatte zur Folge, daß
trotz der recht akkuraten Dokumentation der Ausgräber heute
für nahezu 2500 der insgesamt etwa 4500 Keilschrifttexte
»literarischen Inhalts« die zugehörige Fundnummer verloren
ging. 14 Bedauerlicherweise bleibt damit in vielen Fällen die
Möglichkeit versperrt, den ursprünglichen Fundort einer Tafel
und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tontafelsammlung
zu ermitteln. Auch in dem vorliegenden Band können für nur 30
von insgesamt 73 edierten Tafeln und Tafelfragmenten Aussagen
gemacht werden, die Fundort und Bibliothekszugehörigkeit
betreffen.

Ein genaueres Studium der in diesem Band mitgegebenen
Indizes führt zu der Erkenntnis, daß es vor allem die mittel- und
frühneuassyrischen Schriftstücke sind, für die Fundnummern
bzw. Angaben über den jeweiligen Fundort fehlen. Die
Erfahrung im Umgang mit den Schriftfunden aus Assur zeigt,
daß diese Beobachtung nicht allein für die hier veröffentlichten
Texte zutrifft, sondern ganz grundsätzlich für das gesamte in
Assur gefundene Corpus der Texte »literarischen Inhalts«.
Auch wenn handfeste Beweise kaum erbracht werden können,
darf man davon ausgehen, daß der größere Teil dieser nicht
mehr lokalisierbaren Funde von mittel- und frühneuassyrischen
Tontafeln aus den Ruinen des Assur-Tempels stammt und
jenen Tafelgruppen zuzurechnen ist, die O. Pedersen in seinen
Archives and Libraries in the City ofAssur als die Bibliotheken
M2 und N1 bezeichnete. 15

Gleich zu Beginn der Ausgrabungen in Assur, nämlich in
den Jahren 1904 und 1905, stieß man vor allem im Südwesthof
des Assur-Tempels und in dessen unmittelbarem Umfeld auf
den größten Teil dieses umfangreichen Tontafelbestandes.
Zu dieser Zeit experimentierten Walter Andrae und sein
Team noch mit den Dokumentationsmethoden. Erst nach und
nach setzte sich die Regel durch, jede einzelne Tontafel mit
einer Fundnummer bzw. mit einer Fundnummer und einem
zugehörigen Buchstabenindex zu versehen. In der ersten Phase
der Ausgrabungen in Assur hatte man sich damit begnügt,
die Schachteln, in denen man die Tafeln aufbewahrte, mit der
jeweiligen Fundnummer zu versehen oder aber einen Notizzettel
mit der Fundnummer in die Schachtel zu legen. Ferner war es vor
allem zu Beginn der Grabung üblich, eine einzige Fundnummer
für ganze Gruppen von Tontafeln zu vergeben, ohne dabei den
einzelnen Tafeln einen Buchstabenindex zuzuteilen. 16 Und so

13 Hierzu siehe S. M. Maul, „1903-1914: Assur. Das Herz eines Weltreiches“,
in: G. Wilhelm (Hrsg.), Zwischen Tigris und Nil. 100 Jahre Ausgrabungen
der Deutschen Orient-Gesellschaft in Vorderasien und Ägypten, Mainz 1998,
47-65, besonders S. 65 und ders., Assur-Forschungen, 192-194.

14 Dies betrifft vor allem die nach Berlin gelangten Texte, weit weniger die
Tontafeln, die heute in Istanbul aufbewahrt werden. Freilich gelang es
dem Herausgeber der Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts
immerhin für einige Hundert dieser Texte, von denen zu Beginn des
Forschungsvorhabens lediglich die Museumssignatur bekannt war, mit
Hilfe der Grabungsphotographien die zugehörigen Fundnummern wieder
ausfindig zu machen.

15 O. Pedersen, Archives and Libraries, Part I, 31-42 (M2) und Part II, 12-28
(Nl).

16 So wurde z. B. im Inventarbuch der Ausgrabung am 4. März 1904 unter der
Assur-Fundnummer 1136 der Fund von „ungebr(annten) Thontafeln, c(irca)
 
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