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Einleitung

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mag es kein Zufall sein, daß es wohl gerade die schon sehr früh
im Bereich des Assur-Tempels entdeckten Keilschrifttexte sind,
deren genaue Herkunft sich heute kaum noch nachweisen läßt.
Denn auf diesen Tafeln wurden die Fundnummem noch nicht,
so wie später, mit haltbarer Tinte verzeichnet. 17 Wohl allein
aus diesem Grund gelingt für den hier vorgelegten Textbestand
der Nachweis des Fundortes »Assur-Tempel« lediglich für ein
einziges Schriftstück, das Fragment einer neuassyrischen Tafel,
die ein langes akkadisches »Handerhebungsgebet« an die Göttin
Ischtar enthielt (Text Nr. 56).

Bis auf zwei Tafelbruchstücke (ein Namburbi-Amulett [Text
Nr. 22] unddas Bruchstück eines »Handerhebungsgebetes« [Text
Nr. 61]), welche mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Ruinen
des »Palastes eines assyrischen Prinzen« im Südosten der Stadt
freigelegt wurden, 18 stammen - von einem Oberflächenfund
(Text Nr. 46) abgesehen - alle weiteren hier vorgelegten
Tontafeln, über deren Herkunft Angaben vorliegen, aus der
Bibliothek des sog. »Hauses des Beschwörungspriesters«. 19
Diese insgesamt 26 Tafelbruchstücke machen mehr als ein
Drittel der in dem vorliegenden Band präsentierten Texte aus.

Die Löserituale aus Assur

Mit den mehr als 20 hier erstmals vorgelegten Bruchstücken von
Namburbi-Tafeln dürfte, selbst wenn einige Fragmente nach
wie vor unveröffentlicht sind, der aus Assur kommende Bestand
der Tontafeln mit Beschreibungen von Löseritualen weitgehend
erfaßt sein. Es ist daher an der Zeit, an dieser Stelle eine
grundsätzliche Würdigung dieses Textbestandes vorzunehmen.

Als »Löseritual« (nam-bür-bi, akk.: namburbü) bezeich-
neten Babylonier und Assyrer Verfahren, mit deren Hilfe ein in
der Zukunft liegendes Unheil abgewendet werden sollte, das
durch ein Vorzeichen zwar erkannt, aber noch keine spürbare
Gestalt angenommen hatte. Die ältesten erhalten gebliebenen
Beschreibungen solcher Löserituale kommen (wenngleich sie
noch nicht mit der Gattungsbezeichnung nam-bür-bi verse-
hen sind) aus den Tafelsammlungen, die den hethitischen Herr-
schem in ihrer Hauptstadt Hattusa zur Verfügung standen. Sie
dürften auf uns noch unbekannte altbabylonische Textvorlagen
zurückgehen. 20 Alle weiteren Manuskripte mit Beschreibungen

10 Br(uchstücken)“ verzeichnet. Offenbar wurden weder, wie später, für die
einzelnen Fragmente Buchstabenindices vergeben, noch die Fundnummer
auf die Tafelbruchstücke geschrieben. So wie viele weitere Keilschrifttexte
aus dem Assur-Tempel läßt sich daher keines dieser Fragmente einer in
Berlin oder in Istanbul aufbewahrten, in Assur gefundenen Tafel unbekannter
Provenienz zuordnen. Da es darüber hinaus in der Frühzeit der Grabung auch
noch nicht üblich war, gefundene Tontafeln unter Angabe der Fundnummer
systematisch photographisch zu erfassen, ist es namentlich für die frühen
Schriftfünde in den meisten Fällen kaum noch möglich, nachträglich deren
genaue Herkunft zu ermitteln.

17 Auch in späteren Jahren war es durchaus noch üblich, nicht die Fundnummer
sondern nur den zugehörigen Buchstabenindex auf eine Tafel zu schreiben
(dies ist bei den hier vorgelegten Texten Nr. 8, 20, 36, 37 und 71 der Fall).
Wenn - so wie es nach Beendigung der Ausgrabungen in Assur geschah -
eine derart beschriftete Tontafel aus ihrem Aufbewahrungskontext gerissen
wird, ist ihre Herkunft oft nur noch schwer zu ermitteln.

18 Hierzu siehe O. Pedersen, Archives and Libraries, Part II, 76-81 (N5).

19 Zu dieser Bibliothek siehe neben O. Pedersen, Archives and Libraries, Part
II, 41-76 auch den Beitrag von S. M. Maul in: Assur-Forschungen, 189-228.

20 Hierzu siehe auch S. M. Maul, Reallexikon der Assyriologie und
Vorderasiatischen Archäologie, Band 9,1/2 (1998), 92a.

von Namburbi-Ritualen stammten bisher, von einer Ausnahme
einmal abgesehen, aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend.

Mit dem hier neu erschlossenen Textbestand ergibt sich nun
ein anderes Bild. Zu der bislang einzigen bekannten Beschrei-
bung eines Löserituals aus mittelassyrischer Zeit 21 gesellen sich
jetzt drei weitere, leider nur sehr schlecht erhaltene Bruchstücke
von Namburbi-Tafeln, die ebenfalls im ausgehenden zweiten
vorchristlichen Jahrtausend niedergeschrieben wurden. Zwei
davon (Texte Nr. 13 und 14) zählen zu der Gruppe der sog. Uni-
versalnamburbis - Rituale, die gegen Unheil eingesetzt wurden,
das sich in einem beliebigen oder gleich in einer ganzen Reihe
von Vorzeichen angekündigt hatte. An den langen Listen von na-
mentlich genannten, Unheil ankündigenden Erscheinungen sind
diese Texte leicht zu erkennen. Das dritte Lragment gehört zu
einem Löseritual, welches versprach, Übel abwehren zu können,
auf das ein Erdbeben verwies (Text Nr. 9). Leider läßt sich für
keines dieser drei Tafelbruchstücke die Lundstelle ermitteln.

Aus Omensammlungen und aus späteren Lassungen des
Erdbeben-Namburbis, die uns sowohl aus Assur, als auch aus
den königlichen Bibliotheken zu Ninive bekannt sind, wissen
wir, daß das Vorzeichen des Erdbebens als ein Hinweis auf eine
anstehende massive Bedrohung des gesamten Landes verstanden
wurde, die allein der König abwenden konnte. Daher spricht
manches dafür, daß das in diesem Band veröffentlichte Lragment
eines Erdbeben-Namburbis in eine Tafelsammlung gehörte,
welche von Beschwörem aufgebaut und genutzt wurde, die ihr
Wissen insbesondere zum Schutz des Königs einzusetzen hatten.
Gleiches dürfte auch für die mittelassyrischen Bruchstücke der
Universalnamburbis gelten. Denn auch diese Rituale hatten,
wie uns Texte aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend
zeigen, 22 ihren »Sitz im Leben« nicht zuletzt in der Sorge um die
Sicherheit des Königs. Die mittelassyrischen Beschreibungen
von Löseritualen dürften daher entweder wie VAT 10036
(= LKA 116) aus einer Palastbibliothek stammen, 23 oder aber
- wie es wahrscheinlicher ist - zu dem großen Tafelbestand zu
zählen sein, der im Assur-Tempel aufbewahrt wurde.

Die in diesem Band vorgestellten, bisher unbekannten
Lragmente von Löseritualen der neuassyrischen Zeit kommen
hingegen, sofem ihre Lundstelle sich ermitteln läßt, ausnahmslos
aus der großen Tafelsammlung, die man in dem sog. Haus des
Beschwörungspriesters entdeckt hatte. Auch wenn man den
gesamten Bestand der in Assur gefundenen Anweisungen
zur Ausrichtung von Löseritualen betrachtet, ergibt sich das
gleiche Bild: Während Kisir-Assur und seine Lamilie in
ihrer Tafelsammlung nachweislich nicht weniger als etwa
60 verschiedene Tontafeln mit Beschreibungen von Löseritualen

21 Die Tafel VAT 10036 (= LKA 116), die Löserituale gegen künftiges Unheil
enthält, das der Pilzbefall von Hauswänden anzeigt, zählt zu den wenigen
Resten einer mittelassyrischen Beschwörerbibliothek aus dem Königspalast
zu Assur (siehe dazu: S. M. Maul, Fs. Wilcke 2003, 181-194). Eine
Bearbeitung der Rituale (mit der Tafel VAT 10036 als Textvertreter C) findet
sich in: S. M. Maul, BaF 18,354-366 (vgl. auch ebd., 102f.).

22 Siehe S. M. Maul, BaF 18,465ff.

23 In diesem Zusammenhang ist interessant, daß das Löseritual zur Abwehr
des Unheils, das sich in dem Pilzbefall von Hauswänden ankündigt, nicht
nur im mittelassyrischen Königspalast bereitgehalten wurde (VAT 10036
= LKA 116), sondern auch in dem sog. Prinzenpalast der neuassyrischen
Zeit (VAT 9305 = KAR 20). Dort war das Interesse an diesem Text ganz
offensichtlich ganz pragmatischer Natur. Denn das Ritual, das sich gegen
den Pilzbefall und dessen Folgen wendet, ist unter zahlreichen weiteren
»literarischen Keilschrifttexten«, die in dem Palast gefunden wurden, die
einzige Beschreibung eines Löserituals.
 
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