Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung
II
diese erfahren werden kann, ist durch die Bibel, die selber Menschenwerk und daher
auch voll von Irrungen ist, durch Plato und Spinoza und Kant bewußt geworden. An
deren Maßstab, entscheidend am Maßstab der nicht historisch, sondern der Sache
nach recht verstandenen Bibel, habe ich nicht den Antrieb, an Offenbarung glauben
zu wollen, nicht den Drang, die Offenbarung in irgendeiner der dargebotenen Formen
als Wirklichkeit zu erfahren und dann zu bekennen, daß ich an sie glaube. Wohl aber
ist der Antrieb, dies erstaunliche Phänomen des Offenbarungsglaubens immer wieder
zu sehen, zu befragen und - vergeblich - zu verstehen. Denn die Betroffenheit von der
Tatsache des Offenbarungsglaubens ist untilgbar. Sie bleibt so lange, als im Ernst die
praktischen Folgen des Offenbarungsglaubens in der Lebenspraxis gezogen werden.
In anderen Gestalten hat er nur Interesse als Gegenstand der Menschenfürsorge und
Erziehung zur Wahrhaftigkeit. Denn das Bekenntnis als solches besagt noch gar nichts.
3. Stufen unseres Verhaltens zum Offenbarungsglauben. - Die äußerlichen Tatsachen
sind für uns: Offenbarung wird von einigen Menschen behauptet und geglaubt. Es gibt
mehrere Offenbarungsansprüche und den spezifisch christlichen, ausschließlichen
Offenbarungsanspruch. Dieselbe | Offenbarung wird von den Konfessionen und den 7
Theologen verschieden interpretiert. Auf Grund der eigenen Interpretation, der ver-
meintlich wahren Glaubenserkenntnis, an der das Heil der Seele hängen soll, wurden
im Namen Gottes Menschen verdächtigt, ausgeschlossen, getötet, wurden Kriege ge-
führt. Es ist ein Zerfall des biblischen Offenbarungsglaubens in verschiedene, sich zu
Zeiten auf Tod und Leben bekämpfende Gestalten erfolgt, bis im Erlöschen des Feuers
in breitem Umkreis die matte Gläubigkeit übrig blieb, ohne noch wirkliche Macht in
der Welt zu haben. Soweit solche matte Gläubigkeit reicht, bewegt sie sich in geistig-
theologischer, für die Praxis des Lebens meistens, aber nicht immer gleichgültiger
Intoleranz, oder in der hilfs- und sicherheitsbedürftigen Toleranz, oder in der bürger-
lichen Konvention, in der die Gläubigkeit, die sich selbst nicht versteht, zum guten
Ton des angstvoll sich ordnenden Daseins gehört. Aber das ist nicht alles.
Unbezweifelbare Tatsache sind in dieser Welt des Offenbarungsglaubens auch die
seltenen Menschen, besonders im katholischen und zuweilen im protestantischen
Glauben, von grenzenloser Güte, von strahlender Kraft reinen Geistes, die furchtlos
sich opfern, in der stillen Askese ihres ganzen Daseins, in dem Einsatz des Lebens,
wenn ihre tätige Liebe dem Willen des Bösen in der Realität der Gewalt erliegt.
Der Offenbarungsglaube hat das Abendland beherrscht. Er hat gezeigt, wie er in
der Welt erscheint und wirkt, im bösen wie im guten Sinne. Weil dieses Gute da war
und noch da ist, genügt nicht die Verwerfung des Offenbarungsglaubens auf Grund
jener massenhaften schrecklichen Erscheinungen, durch die er die Jahrhunderte er-
füllte. Sind wir abgestoßen, so werden wir doch alsbald wieder ergriffen von Gehalten,
die aus Menschen des Offenbarungsglaubens sprechen. Was wir nicht verstehen kön-
nen, respektieren wir. Wir verneinen nicht die Möglichkeit der Offenbarung für an-
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diese erfahren werden kann, ist durch die Bibel, die selber Menschenwerk und daher
auch voll von Irrungen ist, durch Plato und Spinoza und Kant bewußt geworden. An
deren Maßstab, entscheidend am Maßstab der nicht historisch, sondern der Sache
nach recht verstandenen Bibel, habe ich nicht den Antrieb, an Offenbarung glauben
zu wollen, nicht den Drang, die Offenbarung in irgendeiner der dargebotenen Formen
als Wirklichkeit zu erfahren und dann zu bekennen, daß ich an sie glaube. Wohl aber
ist der Antrieb, dies erstaunliche Phänomen des Offenbarungsglaubens immer wieder
zu sehen, zu befragen und - vergeblich - zu verstehen. Denn die Betroffenheit von der
Tatsache des Offenbarungsglaubens ist untilgbar. Sie bleibt so lange, als im Ernst die
praktischen Folgen des Offenbarungsglaubens in der Lebenspraxis gezogen werden.
In anderen Gestalten hat er nur Interesse als Gegenstand der Menschenfürsorge und
Erziehung zur Wahrhaftigkeit. Denn das Bekenntnis als solches besagt noch gar nichts.
3. Stufen unseres Verhaltens zum Offenbarungsglauben. - Die äußerlichen Tatsachen
sind für uns: Offenbarung wird von einigen Menschen behauptet und geglaubt. Es gibt
mehrere Offenbarungsansprüche und den spezifisch christlichen, ausschließlichen
Offenbarungsanspruch. Dieselbe | Offenbarung wird von den Konfessionen und den 7
Theologen verschieden interpretiert. Auf Grund der eigenen Interpretation, der ver-
meintlich wahren Glaubenserkenntnis, an der das Heil der Seele hängen soll, wurden
im Namen Gottes Menschen verdächtigt, ausgeschlossen, getötet, wurden Kriege ge-
führt. Es ist ein Zerfall des biblischen Offenbarungsglaubens in verschiedene, sich zu
Zeiten auf Tod und Leben bekämpfende Gestalten erfolgt, bis im Erlöschen des Feuers
in breitem Umkreis die matte Gläubigkeit übrig blieb, ohne noch wirkliche Macht in
der Welt zu haben. Soweit solche matte Gläubigkeit reicht, bewegt sie sich in geistig-
theologischer, für die Praxis des Lebens meistens, aber nicht immer gleichgültiger
Intoleranz, oder in der hilfs- und sicherheitsbedürftigen Toleranz, oder in der bürger-
lichen Konvention, in der die Gläubigkeit, die sich selbst nicht versteht, zum guten
Ton des angstvoll sich ordnenden Daseins gehört. Aber das ist nicht alles.
Unbezweifelbare Tatsache sind in dieser Welt des Offenbarungsglaubens auch die
seltenen Menschen, besonders im katholischen und zuweilen im protestantischen
Glauben, von grenzenloser Güte, von strahlender Kraft reinen Geistes, die furchtlos
sich opfern, in der stillen Askese ihres ganzen Daseins, in dem Einsatz des Lebens,
wenn ihre tätige Liebe dem Willen des Bösen in der Realität der Gewalt erliegt.
Der Offenbarungsglaube hat das Abendland beherrscht. Er hat gezeigt, wie er in
der Welt erscheint und wirkt, im bösen wie im guten Sinne. Weil dieses Gute da war
und noch da ist, genügt nicht die Verwerfung des Offenbarungsglaubens auf Grund
jener massenhaften schrecklichen Erscheinungen, durch die er die Jahrhunderte er-
füllte. Sind wir abgestoßen, so werden wir doch alsbald wieder ergriffen von Gehalten,
die aus Menschen des Offenbarungsglaubens sprechen. Was wir nicht verstehen kön-
nen, respektieren wir. Wir verneinen nicht die Möglichkeit der Offenbarung für an-