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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0127
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

Selbstzweck (in der Tat der Hinweis auf einen Glaubensgrund), genügte nicht gegen
die Angriffe auf die Wissenschaft: sie ergehe sich in überflüssigen Mühen, sie erzeuge
für das Leben verderbliche Denkungsweisen, sie höhle die menschliche Substanz aus,
und schließlich: sie sei der Weg zur Zerstörung des Daseins der Menschheit überhaupt.
Aus ihrer Selbstkritik erfuhren die Wissenschaften ihre Grenzen. Dadurch erst
zeigte sich nun auf neue Weise die Eigenständigkeit der Philosophie. Diese ist nicht
Wissenschaft im Sinne der modernen Wissenschaften. Was zu diesen gehört, scheidet
vielmehr aus der Philosophie aus. Was der Philosophie bleibt, und was von jeher ihre
Substanz war, ist Erkennen nicht im Sinne der Allgemeingültigkeit für jeden Verstand,
sondern ist Denkbewegung der Erhellung philosophischen Glaubens.
Historisch hat Philosophie bis in die neueren Jahrhunderte die Wissenschaften in
sich getragen, als ob Philosophie und Wissenschaft dasselbe seien. Solange beide in
ihrer Betätigung natürlicher Vernunft als Einheit galten, gab es die Frage nach der Ei-
genständigkeit der Philosophie und der Unterscheidung von Philosophie und Wissen-
schaft nicht. In der Tat gehören beide auch nach nunmehriger methodischer Tren-
nung im Ursprung unlösbar zusammen. Daß Wissenschaft überhaupt sein soll, der
Ernst und die Gefahr des Wissenwollens (das sapere aude),117 die Unbedingtheit des
Dabeiseins sind nur philosophisch zu erhellen und entspringen dem Glauben.
23 Als aus ihrer Ursprünglichkeit die Philosophie zu neuer Selbstbehaup|tung kam,
war auch die Anerkennung des Offenbarungsglaubens seitens des philosophischen
Nichtgläubigen möglich. Denn die Gegnerschaft gegen den Offenbarungsglauben dif-
ferenzierte sich:
Wo der Offenbarungsglaube in seiner Theologie Behauptungen aufstellt über em-
pirisch allgemeingültig feststellbare Tatsachen, da ist er immer im Unrecht gegen die
Wissenschaft, wenn diese wirklich den methodischen und zwingenden Charakter mo-
derner Wissenschaft hat. Wo diese Wissenschaft widerspricht und man selber als wis-
senschaftlicher Mensch bei Aneignung der Methode einsehen muß, da bleibt nur: der
Wissenschaft folgen oder das sacrificium intellectus vollziehen. Während das letztere
für die Vernunft unerträglich ist, ist das erstere keineswegs das Ende des Offenbarungs-
glaubens. Denn dieser selbst ist damit gar nicht erreichbar, bleibt vielmehr unberührt.
Er ist weder erkennbar noch bekämpfbar, wenn er verzichtet auf die Verkehrungen, die
ihm, wenn er sich selbst mißversteht, ständig unterlaufen sind. Wenn Wissen der Wis-
senschaft gegen Glaube steht, so hat der Glaube verloren, aber er hatte dann vorher
schon sich in eine Erscheinung eingelassen, die nicht mehr er selbst ist.
Anders aber, wenn Philosophie sich gegen Offenbarungsglauben wendet. Da steht
nicht Wissen gegen Glaube, sondern Glaube gegen Glaube. Dann aber bedeutet Geg-
nerschaft nicht Verneinung, sondern nur Verweigerung der Aneignung und Gefolg-
schaft. Nur dogmatische Theologie und dogmatische Philosophie, beide unheilvoll
pochend auf die unwahre Absolutheit ihres vermeintlich gewußten Grundes, schlie-
ßen sich aus. Offenbarungsglaube und Vernunftglaube als solche stehen polar zuein-
 
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