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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0128
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Der philosophische Glaube angesichts der christlichen Offenbarung

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ander, sind betroffen voneinander, verstehen sich zwar nicht restlos, aber hören nicht
auf im Versuch, sich zu verstehen. Sie verneinen nur in den je einzelnen Menschen für
sich selbst, was sie im Anderen als dessen Glauben doch anerkennen.
2. Die Reinigung des erkennenden Bewußtseins ist unter den Bedingungen der mo-
dernen Wissenschaft und aus dem Ursprung der dreitausendjährigen Philosophie viel-
leicht grundsätzlich vollzogen. Aber sie ist noch nicht wirklich in der Breite der mo-
dernen Bildung, nicht bei allen Forschern, nicht bei den Dozenten der Philosophie
und gar nicht im Denken der Völker. Daher ist das grundsätzlich schon Überwundene
noch faktisch gültig als geläufige Meinung.
So wird die Philosophie heute zumeist sowohl in der Theologie wie in der noch fort-
dauernden Schulphilosophie wie in der konventionellen Auffassung in die falsche Stel-
lung gedrängt, als sei sie eine Wissenschaft, klassifiziert als Fach in einer Fakultät. Man
behandelt die Philosophie als eine objektive Forschung, die mit den Mitteln des Ver-
standes ihre Gegenstände allgemeingültig erkennt. So erwartet man sie wie andere
Wissenschaften im Fortschreiten, in dem sie ihren neuesten und höchsten | bisheri-
gen Standpunkt hat. So nimmt man die Haltung an, sie um ihre Ergebnisse zu befra-
gen, möchte sie nutzen, - oder verachtet sie, da jener Fortschritt gar nicht stattfindet
und sie ja doch nichts »weiß«, verschweigt dies aus Höflichkeit und kümmert sich um
diese veraltete Angelegenheit nicht mehr.
Solches Bild der Philosophie hat diese in den letzten Jahrhunderten und heute
noch sich nicht selten gefallen lassen. Sie geriet dahin durch ihre eigene Selbstverges-
senheit. Es wurde möglich durch die Meinung, der Mensch gründe sich und alles, was
er denkt und tut, auf den reinen Verstand. Diese Gründung im Ganzen soll Philoso-
phie sein. Ihr gegenüber, außerhalb des Verstandes steht dann das, was man Myste-
rium des Glaubens nennt, etwas Unbegreifliches, das man, wie Hobbes sagte, schlu-
cken müsse wie Pillen, die einem gut tun, aber nicht zerkaut werden dürfen.118
Wahr ist, daß Philosophie sich gründet auf denkende Vergewisserung, auf etwas,
was dem Menschen einsichtig wird durch Vernunft, die den Verstand gebraucht, und
daß dies nicht aus dem Leeren geschieht.
3. Der selbständige Ursprung der Philosophie ist durch die Jahrtausende seit den An-
fängen der griechischen Philosophie da. Er wurde in das Denken des Offenbarungs-
glaubens hineingenommen, dann aber von diesem her geleugnet. Die Philosophie hat
ihre große Überlieferung auf Grund ihrer Schriften, die wie ein Analogon der heiligen
Bücher sind, und sie fließt innerhalb des Offenbarungsdenkens als Strom aus eigener
Quelle trotz des Offenbarungsgedankens weiter.
Gegen die Tendenzen, die Philosophie verschwinden zu lassen einerseits zuguns-
ten der exakten und zwingenden eigentlichen Wissenschaft, andererseits zugunsten
von Glaubensgehorsam und Glaubenserkenntnis, stützen philosophierende Men-

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