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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0212
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

III

| Einleitung
Ein Ausgangspunkt des Fragens ist: Wie finden wir uns in der Welt?
Woher kommen wir? Was sind wir?
(i) Werfen wir zuerst einen Blick auf Antworten, die uns gegeben werden durch objek-
tive Beobachtung unserer Herkunft: erstens aus der Entwicklung des Kindes, zweitens
aus der Geschichte, drittens aus der Welt. Auf diesen Wegen werden uns zwar interes-
sante Tatsachen bekannt, aber sie geben keine Antwort auf den Sinn unserer Frage, len-
ken vielmehr von ihm ab. Denn hier bleibt der Mensch ein Gegenstand der Biologie,
Psychologie, Geschichte, Kosmologie.
Wir sehen die Entwicklung des neugeborenen Kindes. Der Mensch zeigt sich als ein
Lebewesen unter anderen. Jedoch wird beobachtet (Portmann),26 daß ihm eine Beson-
derheit eignet. Schon seine biologische Entwicklung ist abhängig von der Weise des Auf-
wachsens in einer menschlich-geschichtlichen Umwelt.27 Die biologischen und psycho-
logischen Beobachtungen stoßen jedoch bald auf Realitäten, die zu erfassen einen
Sprung in der Weise der Beobachtung fordert und einen Sprung in der Realität selber an-
zeigt. Denn die Beobachtung wandelt sich, wo der Mensch im Unterschied von allen an-
deren Lebewesen in der Kommunikation als er selbst uns begegnet. Der Säugling zeigt
die ersten leisen Keime plötzlich. Es ist immer wieder dies Staunen erweckende Geheim-
nis: Die bloße Beobachtung wird durchbrochen, wenn ein Mensch versteht, spricht, ant-
wortet, unantastbar in eigener Würde, anders wie jedes Tier. Kommunikation ist mehr
als Beobachtung. Auch mit Tieren ist eine Art Umgang möglich, gleichsam in Frage und
Antwort. Eine Intelligenz, die aus den Augen blickt, in denen ein Verschlossenes sich
auszudrücken scheint und doch nicht ausdrücken kann, berührt uns. Ein Dackel und
erst recht ein Affe kann unheimlich sein. Aber doch bleibt der Sprung zwischen der Ver-
haltensforschung, die auch dem Menschen gegenüber möglich ist, wenn man ihn als
Menschen verschwinden läßt, und dem sprachlichen Um|gang in Gegenseitigkeit. Auf
die reichen Ergebnisse tierpsychologischer und kinderpsychologischer Forschung kann
ich nicht einmal hinweisen. Das Entscheidende ist: Der Gang der menschlichen Lebens-
entwicklung ist von Anfang bis zum Ende biologisch und psychologisch gebunden, be-
sonders eindrucksvoll in der Pubertät. Aber in dieser Bindung geschieht etwas, was aus
einem anderen Ursprung kommt, das nicht in die Kontinuität des biologischen und psy-
chologischen Ablaufs aufgeht. Die Form des Wissens von uns als einem Anderen, das
wir beobachten, erreicht nicht das, was wir eigentlich selbst sind. -
Die Beobachtung zeigt weiter unsere Herkunft aus der Geschichte, die in nicht aus-
lotbare Vergangenheit zurückweist. Wir lernen Menschenwelten der Vergangenheit,

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