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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0268
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

167

| Zweiter Teil

Statt des alten Gegensatzes von Vernunfterkenntnis
und Glaubenserkenntnis die moderne Dreigliederung:
Wissenschaft, Philosophie, Theologie

1. Die Folge der modernen universalen Wissenschaftlichkeit für die Philosophie
Die unermeßliche geistige Schöpfung philosophischen und theologischen Denkens,
das aus bald drei Jahrtausenden zu uns spricht, ist für uns nicht nur Gegenstand der
Bewunderung. Sie enthält Wahrheit, die immer von neuem angeeignet und aus dem
Vergessenwerden gerettet werden muß.
Aber in unserer gesamten Denkverfassung, in der Ordnung und Struktur unseres Den-
kens und Erkennens ist eine Wandlung eingetreten, die alles in ein neues Licht bringt. Es
geschah durch ein Ereignis der letzten Jahrhunderte, für das es früher, auch bei den Grie-
chen, nur vorbereitende Ansätze gab. Dies Ereignis ist die moderne Wissenschaft.
Moderne Wissenschaft ist erstens methodische Erkenntnis mit dem Wissen von
der jeweiligen Methode. Zweitens ist sie zwingend gewiß: niemand, der versteht, kann
sich der Erkenntnis ohne einen Gewaltakt der Unwahrhaftigkeit entziehen. Drittens
ist sie allgemeingültig, und zwar nicht nur, wie alle frühere Erkenntnis, im Anspruch,
sondern faktisch: wissenschaftliche Erkenntnisse allein breiten sich als einsichtig für
alle aus. Viertens ist sie universal: sie erfaßt alles, was als Realität und Denkbarkeit vor-
kommt.
Die Erfahrung der modernen Wissenschaft erzeugt eine innere Verfassung, die wir
Wissenschaftlichkeit nennen. Wissenschaftlichkeit weiß zugleich mit dem Wissen
dessen Grenzen: sie weiß mit der Gewißheit auch die Ungewißheit; sie sieht den Be-
reich und die Voraussetzungen jeder Methode; sie erkennt, daß die Art ihrer Erkennt-
nis jeweils nur durch Beschränkung und Verzicht gelingt und nie das Ganze des Seins
erreicht.
Soweit Wissenschaft reicht, ist sie wegen ihrer zwingenden Gültigkeit unumgäng-
lich. Ihr auszuweichen wird zur Unwahrhaftigkeit. | Wenn die uns zugängliche Wahr- 96
heit einen weiten Raum hat außerhalb der Wissenschaften (nämlich in Philosophie
und Theologie), so ist doch auch diese nicht mehr Wahrheit, wenn sie in ihren Aus-
sagen wissenschaftliche Erkenntnis verletzt.
Die universale Wissenschaftlichkeit ist in unserem Zeitalter möglich geworden und
hier und da als innere Verfassung verwirklicht. Zwar ist sie in allen Wissenschaften auf
 
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