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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0296
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Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung

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| Dieser Grundtatbestand, daß etwas erscheint (oder anders: sich zeigt, sich offen- 130
bart, da ist, Sprache wird), ist, so gewiß er gegenwärtig ist, so sehr im Ganzen das Ge-
heimnis.
2. Das Erhellen des Weges zum Geheimnis durch das philosophische Grundwissen. - Das
Geheimnis wird uns heller, wenn wir das Erscheinen als solches zum Bewußtsein brin-
gen: wie es stattfindet in der Mannigfaltigkeit seiner Gestalten, in den Grundzügen,
die ihm als Erscheinen zukommen.
Aller Mühe dieses Denkens meinen wir vielleicht uns überheben zu können, wenn
wir uns ergreifen lassen von dem Unmittelbaren der Sinne und des Verstandesdenkens,
der Anschaulichkeit, des Mythus, von dem, was in technisch verwertbarer Gegen-
standserkenntnis und was in der Dichtung und Kunst, im Kultus ohne weiteres für uns
da ist, unbezweifelbar in seiner Fülle und Wahrheit. Man sagt, dies alles werde durch
Reflexion nur verunklärt und eigentlich schon in Frage gestellt.
Solche Haltung verweigert sich dem Weg des Menschen. Sie ist eine Versuchung.
Denn sie scheint uns zu retten. Aber in der Form der unbefragten Unmittelbarkeit ist
Wahrheit immer auch täuschend. Sie läßt in Verwirrung geraten. Wenn sie einmal
trotz Reflexionslosigkeit rein bleibt, so ist sie doch schutzlos gegenüber einbrechen-
den Verkehrungen. Sie bedarf der Prüfung durch Denken im Grundwissen von dem,
worin wir uns finden.
Wenn die Unmittelbarkeit des Ergriffenwerdens aufgenommen ist in die Weite aller
Weisen des Umgreifenden, dann schwindet der Trug blinder Selbstbehauptung des
Daseins, der bloße Zauber des Geistes, das bloße Behaupten des argumentierenden Ver-
standes, der Stolz des Schon-in-der-Wahrheit-Stehens eines Glaubens.
Die falschen Geheimnisse werden durchsichtig in dem Maße, als das wahre, allum-
fassende Geheimnis gegenwärtig wird im Denken.
3. Nicht Ontologie, sondern Periechontologie. - In der Vergegenwärtigung der Weisen
des Umgreifenden suchen wir nicht die Stufen in Kategorien eines objektiv Vorkom-
menden (wie die großen metaphysischen Stufenlehren seit Aristoteles), sondern die
Räume des Umgreifenden. Das heißt: wir suchen nicht Seinsschichten, sondern die
Ursprünge des Subjekt-Objekt-Verhältnisses, nicht ontologisch eine Welt gegenständ-
licher Bestimmungen, sondernperiechontologisch den Grund dessen, woraus Subjekt-
Objekt entspringen, ineins miteinander und aufeinander bezogen.
| 4. Die Beziehungen der Ursprungsverschiedenheiten. - Unsere Darstellung der Weisen 131
des Umgreifenden zeigte in der Kürze nur eine Reihe. Aber keineswegs stehen diese
Weisen als ein Aggregat auf einer gleichen Ebene nebeneinander. Zwischen den Wei-
sen des Umgreifenden der Weltwirklichkeit (Bewußtsein überhaupt, Dasein, Geist -
Welt) und den Weisen des Umgreifenden der die Welt überschreitenden Wirklichkeit
(Existenz-Transzendenz) liegt ein Sprung. Die Beziehung aller Weisen aufeinander, ihr
gegenseitiges Sichdurchdringen ist eine vielfache, hier nicht zu entwickelnde. Jede
Weise kann sich zum Mittelpunkt aufwerfen und damit alles falsch werden lassen.
 
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