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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 13): Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51323#0649
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Philosophie und Offenbarungsglaube

200 vor Christus reicht. In sie gehören also die israelitischen Propheten hinein, Jesus
dagegen nicht mehr. Er wirkt im Vergleich zu ihnen wie ein Appendix, wie ein Nach-
fahre. Scheitert diese Konzeption nicht schon rein historisch? Ist es nicht - wenn wir
einmal von allem Glauben und Glaubensanspruch absehen - rein historisch so gegan-
gen, daß das Alte Testament seine Kanonizität vom Neuen her empfangen hat? Ist es
nicht dadurch zum Kanon und zur Bibel für uns geworden, weil die Alte Kirche es im
Neuen Testament als erfüllt ansah? Wäre es sonst nicht für das Abendland eine zwar
großartige, aber fremde religiöse Urkunde geblieben?

81 | Jaspers
Was Sie sagen über meine Auffassung der Geschichte, das halte ich für etwas, worin
wir einmütig werden könnten, wenn wir die Unterscheidung machen einer empiri-
schen Geschichte, die allgemeingültig erkannt wird, von einer heiligen Geschichte,
die selber Glaubensinhalt und nicht allgemeingültig ist. Wenn ich unter dem Namen
der Achsenzeit einst die Jahrhunderte etwa von 800 bis 200 vor Christus zu treffen
suchte, so habe ich die Zeit dargestellt, in der - eine unerhört erregende Tatsächlich-
keit - gleichzeitig und zum großen Teil unabhängig voneinander in China, Indien,
Iran, Palästina, Griechenland die geistigen Schöpfungen, die Religion, die Grundfra-
gen des Menschseins auftreten, in denen die Menschheit im ganzen bis heute geis-
tig lebt. Ich meinte damit eine empirische Feststellung zu machen, auf die alle Völker
und Glaubensweisen sich einigen könnten, weil der Inhalt hier keine Glaubensvor-
stellung, sondern ein dokumentierter Tatbestand ist. Dagegen ist die Weltgeschichts-
82 auffassung, welche Christus zur Achse der Weltgeschichte macht, mit der Folge | der
Zeitrechnung »Vor und nach Christus«, wie wir sie heute haben, eine Sache des Glau-
bens der Christen, und nur dieser. Was Sache des Glaubens ist - der Glaube an die Hei-
lige Geschichte und an die Heilsgeschichte - wird nun meines Erachtens - und darauf
kommt es an - durch eine empirische Geschichtsauffassung nicht widerlegt, wird aber
auch nicht etwa selber empirisch bewiesen. Wenn also einem Menschen etwa oder
einer Menschengruppe ein Phänomen nach der Achsenzeit als das Kostbarste von
allem erscheint, so braucht das keineswegs durch die empirische Feststellung der
Achsenzeit berührt zu werden.
Das Alte Testament. Sie sagen, es habe seine Kanonizität erst vom Neuen Testament
her empfangen. Empirisch dagegen liegt es doch so: Der Kanon des Alten Testamen-
tes ist von den Juden selber aufgestellt und lag schon vor, als das Christentum auftrat.
Die Bibel ist ihr heiliges Buch bis heute. Die Christen haben nach heftigen Kämpfen
das Alte Testament als heilige Schrift für sich selbst festgehalten, anfangs übrigens ganz
selbstverständlich als das einzige heilige Buch für die Christen, die doch selber Juden
83 | waren und sich als solche fühlten. Sie meinen, ohne das Christentum wäre für das
Abendland das Alte Testament eine zwar großartige, aber fremde religiöse Urkunde ge-
 
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