Philosophie und Offenbarungsglaube
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darüber hinausgeht, ist eine Erwartung, von der zu sprechen angesichts der Größe der
Aufgabe und Möglichkeit allzu leicht und billig ist. Dann: Dieses Sprechen kann nicht
vorwegnehmen, was in der Wandlung faktisch geschehen wird. Es sagen zu können,
das wäre schon so viel als sie selber schaffen. Die gemeinte Wandlung meint gleicher-
weise den Offenbarungsglauben wie den philosophischen Glauben. Diese Wandlung
wird vielleicht eine sein in der Vielfachheit der Gestalten. | Was dieses »Eine« ist, ist po- 78
sitiv nur unbestimmt zu sagen: die Umkehr, die Rückkehr zum Ursprung, der Ernst der
Existenz, die Offenheit für Transzendenz.
Nun spreche ich die drei Verzichte aus. Es sind Verzichte, die zugleich das Positive
steigern sollen. Sie sind selber als Verzichte nur Folgen dieses Positiven:
Erstens: Jesus ist nicht mehr als Gottmensch Christus geglaubt, aber er soll als
Mensch zur Geltung kommen im Umgang mit der Bibel. Die Einzigkeit dieses Men-
schen, der das Menschsein an eine Grenze geführt hat, die die vielleicht revolutio-
närste aller Geschichte ist, spricht zu uns, fordernd, zu erkennen, was wir sind, for-
dernd, uns an ihm zu orientieren, auch wenn wir ihm nicht folgen. Wie das gemeint
ist, habe ich durch eine Darstellung Jesu in meinem Buch über die »Großen Philoso-
phen« zu zeigen versucht.687 Dort steht er als einer der maßgebenden Menschen, die
der Philosophie als Wirklichkeit vorhergehen.
Zweitens: Die Offenbarung wird zur Chiffer der Offenbarung. Wenn unter Verzicht
auf Offenbarungsglaube die Leibhaftigkeit verloren |geht, so spricht sie noch immer 79
als eine Möglichkeit menschlicher Erfahrung, als Träger menschlichen Gehaltes, die
auch ohne die Offenbarung zu bewahren sind. Die Leibhaftigkeit als solche ist zwar
Leibhaftigkeit, aber als Leibhaftigkeit Chiffer, wie etwa das Sinai-Ereignis.
Drittens: Der Verzicht auf die Ausschließlichkeit der einen dogmatisch bestimmten
Glaubenswahrheit ist die Bedingung dafür oder die Folge davon, daß die Unbedingt-
heit des geschichtlichen Entschlusses der Existenz sich vollzieht, und zwar immer im
Einzelnen.
Zahrnt
Aus allen drei Verzichten, die Sie fordern, spricht im Grunde ein und derselbe Vorwurf.
Er richtet sich gegen den Anspruch der christlichen Offenbarung auf Einzigartigkeit
und Ausschließlichkeit. An dieser Stelle stehen wir fraglos an dem kritischsten Punkt
zwischen dem philosophischen Glauben und dem Offenbarungsglauben, und wir wer-
den uns hier vor nichts so sehr zu hüten haben wie davor, die hier waltenden Unter-
schiede oder gar Gegensätze zu verwischen. Solche Un|Wahrhaftigkeit könnte der 80
Kommunikation eher schaden als nützen. Und so erlauben Sie mir da meine Gegen-
fragen. Für Sie liegt der Schwerpunkt der biblischen Religion offensichtlich im Alten
Testament. Das Neue erscheint im Vergleich dazu wie ein Anhang - einmal nennen
Sie es ja sogar so. Dem entspricht Ihr Bild von der »Achsenzeit«, die von etwa 800 bis
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darüber hinausgeht, ist eine Erwartung, von der zu sprechen angesichts der Größe der
Aufgabe und Möglichkeit allzu leicht und billig ist. Dann: Dieses Sprechen kann nicht
vorwegnehmen, was in der Wandlung faktisch geschehen wird. Es sagen zu können,
das wäre schon so viel als sie selber schaffen. Die gemeinte Wandlung meint gleicher-
weise den Offenbarungsglauben wie den philosophischen Glauben. Diese Wandlung
wird vielleicht eine sein in der Vielfachheit der Gestalten. | Was dieses »Eine« ist, ist po- 78
sitiv nur unbestimmt zu sagen: die Umkehr, die Rückkehr zum Ursprung, der Ernst der
Existenz, die Offenheit für Transzendenz.
Nun spreche ich die drei Verzichte aus. Es sind Verzichte, die zugleich das Positive
steigern sollen. Sie sind selber als Verzichte nur Folgen dieses Positiven:
Erstens: Jesus ist nicht mehr als Gottmensch Christus geglaubt, aber er soll als
Mensch zur Geltung kommen im Umgang mit der Bibel. Die Einzigkeit dieses Men-
schen, der das Menschsein an eine Grenze geführt hat, die die vielleicht revolutio-
närste aller Geschichte ist, spricht zu uns, fordernd, zu erkennen, was wir sind, for-
dernd, uns an ihm zu orientieren, auch wenn wir ihm nicht folgen. Wie das gemeint
ist, habe ich durch eine Darstellung Jesu in meinem Buch über die »Großen Philoso-
phen« zu zeigen versucht.687 Dort steht er als einer der maßgebenden Menschen, die
der Philosophie als Wirklichkeit vorhergehen.
Zweitens: Die Offenbarung wird zur Chiffer der Offenbarung. Wenn unter Verzicht
auf Offenbarungsglaube die Leibhaftigkeit verloren |geht, so spricht sie noch immer 79
als eine Möglichkeit menschlicher Erfahrung, als Träger menschlichen Gehaltes, die
auch ohne die Offenbarung zu bewahren sind. Die Leibhaftigkeit als solche ist zwar
Leibhaftigkeit, aber als Leibhaftigkeit Chiffer, wie etwa das Sinai-Ereignis.
Drittens: Der Verzicht auf die Ausschließlichkeit der einen dogmatisch bestimmten
Glaubenswahrheit ist die Bedingung dafür oder die Folge davon, daß die Unbedingt-
heit des geschichtlichen Entschlusses der Existenz sich vollzieht, und zwar immer im
Einzelnen.
Zahrnt
Aus allen drei Verzichten, die Sie fordern, spricht im Grunde ein und derselbe Vorwurf.
Er richtet sich gegen den Anspruch der christlichen Offenbarung auf Einzigartigkeit
und Ausschließlichkeit. An dieser Stelle stehen wir fraglos an dem kritischsten Punkt
zwischen dem philosophischen Glauben und dem Offenbarungsglauben, und wir wer-
den uns hier vor nichts so sehr zu hüten haben wie davor, die hier waltenden Unter-
schiede oder gar Gegensätze zu verwischen. Solche Un|Wahrhaftigkeit könnte der 80
Kommunikation eher schaden als nützen. Und so erlauben Sie mir da meine Gegen-
fragen. Für Sie liegt der Schwerpunkt der biblischen Religion offensichtlich im Alten
Testament. Das Neue erscheint im Vergleich dazu wie ein Anhang - einmal nennen
Sie es ja sogar so. Dem entspricht Ihr Bild von der »Achsenzeit«, die von etwa 800 bis