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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0015
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XIV

Einleitung des Herausgebers

Von universitärer Seite hingegen forderte Max Scheier die wohl umfassendsten
Veränderungen der Hochschulstrukturen. In seinem Traktat »Innere Widersprüche
der deutschen Universitäten«35 greift Scheier das Prinzip der Einheit von Forschung
und Lehre scharf an, indem er es als für die Berufsunterweisung und für die Forschung
gleichermaßen kontraproduktiv darstellt. Scheier empfiehlt ein radikales Aufbrechen
dieses Prinzips und die Verteilung der bisherigen »grundverschiedenen« Aufgaben der
Universität auf verschiedene höhere Bildungsinstitute,36 wobei er für die Universität die
Umbildung in ein »Institut ausschließlicher Berufs- und Fachschulung« vorsieht. Ne-
ben Becker und Scheier haben sich auch der Philosoph Hinrich Knittermeyer, der Mi-
neraloge Gottlob Linckund der Pathologe Otto Lubarsch mit eigenen Schriften in den
Reformdiskurs eingeschaltet.37 Ob Jaspers mit diesen Publikationen vertraut war, lässt
sich nur in einem Fall rekonstruieren. Materialsammlungen im Nachlass belegen, dass
sich Jaspers eingehend mit der bereits 1918 erschienenen, liberal-republikanisch aus-
gerichteten Schrift Universitäts-Reform. Ein Aufruf an die Hochschuljugend Knittermeyer s
auseinandergesetzt hat. Dies legt nahe, dass Jaspers die Reformbemühungen der frü-
hen Weimarer Republik von Beginn an und besonders in ihrer liberalen Ausprägung
aufmerksam verfolgt hat. Knittermeyer postuliert in seinem Text die »Aktualisierung
eines nationalen Kulturstaats« mit dem Ziel einer »Demokratie der Bildung«, setzt sich
für eine »Erziehung zur vollen Individualität des besonderen Menschen« ein und ruft
dazu auf, die Einheit der Wissenschaft vor einer fachwissenschaftlichen Zersplitterung
zu bewahren. Für das Studium fordert er eine Reform der Examina im Sinne eines Zu-
rücktretens des »Gedächtniswissens«, die Einführung eines allgemeinbildenden Vor-
bereitungssemesters sowie die Einrichtung von »Volksbildungsakademien«.38 Obwohl
sich mit Ausnahme der beiden letztgenannten Forderungen eine starke Übereinstim-
mung mit Jaspers’ Positionen erkennen lässt, findet Knittermeyer in dessen Texten
ebenso wenig Erwähnung wie die anderen Protagonisten der damaligen Reformdebatte.
Die Auseinandersetzung mit den in der frühen Weimarer Republik virulenten hoch-
schulpolitischen Themen sowie die Nähe insbesondere zu Knittermeyers Positionen
können indes als ein deutliches Indiz dafür gewertet werden, dass das Ringen um eine
Reform des Hochschulwesens nach der Novemberrevolution einen wesentlichen Mo-
tivationsgrund für die Veröffentlichung von Jaspers’ erster Universitätsschrift bildete.

35 M. Scheier: »Innere Widersprüche der deutschen Universitäten« [1919], GW 4, 473-497. Scheiers
Vorschläge wurden erst in der dritten Fassung der Idee der Universität von Jaspers’ Koautor Kurt
Rossmann anhand des 1921 erstmals erschienenen Textes »Universität und Volkshochschule«
(GW 8,383-429) eingehend diskutiert.
36 M. Scheier: »Innere Widersprüche der deutschen Universitäten«, 483.
37 H. Knittermeyer: Universitäts-Reform. Ein Aufruf an die Hochschuljugend; vorgetragen am 22. Nov.
1918. Im Auftrag des Studentischen Arbeitsausschusses der Universität Marburg, Marburg 1918;
G. Linck: Gedanken zur Universitätsreform, Jena 1919; O. Lubarsch: Zur Frage der Hochschulreform,
Wiesbaden 1919.
38 H. Knittermeyer: Universitäts-Reform, 24-32.
 
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