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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0082
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Die Idee der Universität [1923]

7

| Erstes Kapitel

Voraussetzungen

Wir suchen die zentralen Kräfte und die allgemeinen Formen geistiger Existenz zu
erfassen und unterscheidend zu bestimmen. Sie sind aus innerer Erfahrung und aus
historischer Anschauung abzulesen. Zunächst fragen wir, was Geist, was Bildung, was
Wissenschaft sei. Diese leicht verwechselten Begriffe, die wir immerfort gebrauchen,
geben uns die letzten Maßstäbe. So gut es geht, wollen wir deutlich wissen, was wir
mit ihnen meinen. In der Wirklichkeit ist geistige Existenz dann abhängig von der
Tradition (Erziehung und Unterricht) und von der individuellen Begabung, welche
eine Auslese der Individuen zur Folge hat. Schließlich besteht geistige Existenz zwar
immer nur als persönliche, aber zugleich in der Beziehung zu anderen Persönlichkei-
ten, in Kommunikation. Diese Beziehung und die Tradition findet nicht immer, aber
oft in Institutionen - deren eine die Universität ist - ihre Sicherung. Die Vergegen-
wärtigung der Polarität persönlicher und institutioneller Gestalt des Geistigen be-
schließt die Erörterungen, welche die Grundlagen für unsere Betrachtung der Uni-
versität geben sollen.
§ 1. Geist. Bildung. Wissenschaft
Was Geist sei, ist nicht in einfacher Formel zu sagen. Es läßt sich nur umschreiben als
Synthese von Gegensätzen. Jedes einzelne, das von ihm ausgesagt wird, für sich ist
noch nicht Geist, sondern immer nur im Zusammenhang mit dem anderen. Eine Kraft
des Geistes ist das Klarwerdenwollen, aber nur in Verbindung mit einem Gegensätzli-
chen, dem Ganzwerdenwollen. Von diesen beiden Kräften gehen wir aus, um den Geist
in Formeln zu umschreiben.
| Der Geist in uns drängt zur Klarheit, zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Er er- 2
fährt, was er sei, im Handeln oder im Denken oder im Gestalten. Ob der handelnde
Mensch in die Wirklichkeit eingreift und ihre Rückwirkungen erfährt, der erkennende
Mensch fragt und denkend Grenzen setzt, der Künstler seine Visionen in objektiven
Bildern und Gestalten sichtbar macht, in allen ist ein Gemeinsames: das erstaunte Be-
wußtsein von etwas Dunklem und Entscheidendem, das sich selbst offenbar werden
will in der Bewegung zur Welt, zu einem Gegenständlichen hin. Das yvwdi oavröv4 ist
der Imperativ nicht nur für den philosophischen Denker, sondern für den Geist über-
haupt. Die Selbsterkenntnis gewinnt der Denker im Medium des Rationalen, das nur
 
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