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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0083
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Die Idee der Universität [1923]

ein Medium neben anderen ist. Auch in der Gestalt wird eine Klarheit, wenn auch
nicht durch Begriffe. Das Sichdurchsichtigwerden ist ein qualvolles, mühevolles, ge-
fährliches. Es ist Unbedingtes darin wirksam, eine absolute Forderung für den Men-
schen. Darum ist der stets lastende Widerstand der ungeistigen Masse da, die Neigung,
beim Bedingten und Gegebenen zu verharren, die Dinge gehen zu lassen und in ge-
wohnten Unklarheiten zufrieden zu sein, das Fragen zu verhindern, das Dunkel zu er-
halten. Dem Offenbarwerdenwollen stellt sich schließlich aktiv ein Verdunklungs-,
Täuschungs-und Selbsttäuschungswille entgegen, als unproduktive, gegenstandslose
und unbewegte Angst, als Trotz - während eine bewegende Angst Quelle des Geistes ist.
Der Geist in uns will zur Ganzheit werden. Er drängt auf Zusammenhang. Ungeistig
ist die Summe des Isolierten, das Chaos. Der Geist zwingt uns im Denken zur Konse-
quenz, zwingt uns, nicht dies oder jenes unabhängig voneinander zu denken, sondern
aufeinander zu beziehen, die Widersprüche zu sehen und keinen Gedanken vereinzelt
zu lassen. Der Geist treibt uns, alles Gedankliche zu assimilieren, nicht äußerlich zu
sammeln. Ihm ist es gemäß, daß wir uns selber treu bleiben, daß wir nicht vergessen
und ignorieren, was wir taten, dachten, glaubten. In dem Maße, als Geist in uns ist, ist
uns unsere Vergangenheit wirksam gegenwärtig. Der Ungeistige lebt im Augenblick, ad
hoc, wechselnd und vergessend. Der Geist will alles mit allem in Beziehung, in Zusam-
menhang, in Vergleich bringen, er prüft jedes Endliche durch alles andere Endliche.
3 | Insofern der Geist Wille zur Klarheit ist, ist er immerfort unterscheidend, glie-
dernd, analysierend. Der Geist ist nie unmittelbar, sondern immer vermittelt durch
Reflexion. Aber er wird immer wieder als unmittelbar gegenwärtig, d.h. er ist nie pri-
märe, naive, sondern immer vermittelte Unmittelbarkeit (Hegel).5 Insofern der Geist
Ganzheit will, ist er synthetisch, beziehend. Er will immer Klarheit und wird nie fer-
tig; er will immer Ganzheit und wird nie vollendet. Sonderungen in aller Klarheit sind
Bedingungen der Vereinheitlichungen. Das Sehen von Grenzen und Gegensätzen ist
Voraussetzung, um Synthesen zu erfahren und Spannungen.
Darum ist der Geist nie als Zustand und Besitz, sondern ist immer Bewegung. Er exi-
stiert nur als werdend. Aber er ist es nicht innerlich, wirkungslos (das wäre Schwärme-
rei und nicht Geist oder absolute religiöse Innerlichkeit Kierkegaards,6 über welche
der Mensch sich selbst nicht klar wird, von der er nicht weiß; die insofern, weil sie nicht
nach außen tritt, unberücksichtigt im Denken bleibt, hier als bloßer Grenzbegriff fun-
giert), sondern er manifestiert sich stets in Werken, Gestalten, Taten. Diese wiederum
verführen zur Ungeistigkeit: im Auswendiglernen des Gedachten und im Wissensge-
nuß, im Nachahmen des Tuns vermöge formulierter Ethik mit Vorschriften für alle Si-
tuationen, im Genuß ruhender Vollendung angesichts der Kunst, der Metaphysik,
überhaupt der Gestalten und Bilder. Alles dies ist zwar Moment im Prozesse des Gei-
stes, es wird ungeistig, wenn es sich verabsolutiert und das Leben bestimmt. Der Geist
ist übergreifend und sein Leben besteht so gut wie im Schaffen und Hinstellen auch
im Auflösen und Relativieren.
 
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