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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0297
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I

Die Gefährdung unserer Universität

An den abendländischen Universitäten, jedenfalls an den deutschen, gibt es ein Sorge:
die Universitäten könnten ihren eigentlichen Sinn verlieren, indem sie in ein Aggre-
gat von Fachschulen sich auflösen. Zwar kann nur, wer als Spezialist sein wissenschaft-
liches Handwerk bis zur Meisterschaft versteht, in der Wissenschaft heimisch werden.
Aber wenn Wissenschaft nicht auf die Nützlichkeit beschränkt sein soll, kann der Sinn
der Wissenschaft nicht in der Spezialität als solcher liegen. Er liegt vielmehr in der Bil-
dung des Menschen zu einem kritisch forschenden Wesen, in der Erziehung seines
Charakters zur Wahrhaftigkeit, und er liegt in dem Zusammenhang des Erkennens im
Kosmos aller Wissenschaften. Dieser Zusammenhang durchdrang das Leben der Uni-
versität im 19. Jahrhundert. Damals war die Nützlichkeit zwar eine erwünschte Folge,
aber sie herrschte nicht. Dies war nur möglich auf dem Grunde der geschichtlichen
Überlieferung, die im Humanismus alle Abendländer verband durch die gemeinsame
Wurzel in Griechenland, Rom und der Bibel.
Die gegenwärtige Gefahr der Universität ist eine Folge nicht nur der wissenschaft-
lichen Entwicklung, die unumgänglich aus der Natur der Sache die Spezialisierung ver-
langt, sondern der allgemeinen Veränderung des Geistes. Der Humanismus hat an Gel-
tung verloren; die Zahl echter Humanisten ist immer geringer geworden. Schließlich
und vor allem ist die Gefahr aus der gewaltigen Bewegung des technischen Zeitalters
erwachsen. Neue geistige Grundlagen werden gesucht und müssen gesucht werden in
diesem geschichtlichen Einschnitt, der tiefer ist als je ein Schnitt in aller uns bekann-
ten Geschichte war. Und diese uns alle verbindenden Grundlagen sind noch nicht da.
Was kann man tun? Der Geist ist nicht zu kommandieren, er weht, wann und wo
er will. Die Universitäten werden gerettet, wenn es Menschen gibt, die durch Werk und
2 Person in ihrem wissenschaftlichen Tun die Einheit | des Wissens überzeugend für die
heutige Welt zur Erscheinung bringen. Solche Menschen kann man nicht planen und
machen. Aber man kann hinweisen auf Bedingungen. Die Unruhe bei den Forschern
müßte wachsen, daß sie stärker die geistige Verantwortung spüren für das, was durch
sie auf dem Spiele steht. Wir dürfen in einem Zeitalter, das ohne Vergleich in der Ge-
schichte ist, nicht zufrieden sein mit dem bloßen Festhalten am Humanismus, so sehr
uns dieser auch am Herzen liegt. Wir müssen unablässig die neuen Tatbestände wahr-
nehmen und als Menschen unter diesen neuen Bedingungen wirklich werden. Die
Wissenschaften sind in ihrer wirksamen Einheit aus der Zerstreutheit heraus neu zu
gewinnen. Geringfügig sind die Anregungen, die man für diese Aufgaben und zur Ab-
wehr gegen den Zerfall geben könnte. Man sollte etwa die Geschichte der Wissenschaf-
 
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