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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
| IV. Die mögliche Verwirklichung der
Universitätsreform
Die Notwendigkeit der Universitätsreform heute bietet die einmalige, zu ergreifende oder
zu versäumende Chance, die Gestalt einer neuen, dem Geist der modernen Wissen-
schaftlichkeit vollauf entsprechenden Universität zu verwirklichen. Was Humboldt be-
gonnen hatte, was in der Bildungsuniversität des vorigen Jahrhunderts jedoch nur in An-
sätzen versucht wurde, worüber dann die eigentliche Reform im Geiste des Humboldtschen
Konzeptes ausblieb, könnte heute Wirklichkeit werden. Dessen aber bedarf es zur Wah-
rung der Idee der Universität selber des Mutes, viele zur leeren Hülle gewordene, wenn
auch liebgewonnene Traditionsformen preiszugeben. Denn wahre Kontinuität der Idee
der Universität ist nur in und durch Verwandlung. Eine solche Reform bedingt zugleich
eine Reform unserer Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen, deren leben-
dige geistige, nach allen Seiten ausstrahlende Mitte die künftige Universität bilden sollte.
Diese Reform kann sich nicht in organisatorisch-technischen Verbesserungen der
Kapazitäts- und Leistungsmängel der bestehenden Universität erschöpfen. Wohlbe-
gründete organisatorisch-technische Verbesserungen sind zur Genüge für alle Bereiche
der Universität vorgeschlagen worden: zur Studienreform in einzelnen Disziplinen,
zur Neugestaltung des Prüfungswesens, zur Frage der Einführung des Tutorensystems
und im Zusammenhang damit zum Problem der Studentenwohnheime, dann zur Neu-
ordnung der Hierarchie des Lehrkörpers, zur Neuregelung des Kolleggeldwesens, zur
Verbesserung des ökonomischen und sozialen Status der Dozenten, zur Reform der
Verwaltung. In fast jedem dieser zahlreichen Vorschläge vermeinte man jeweils den
240 eigentlichen Schlüssel zur | Universitätsreform zu besitzen, da eben jedes Teilproblem
zum Problem des Strukturganzen hinführt.
Manche dieser partiellen Verbesserungsvorschläge, die man gemeinhin gern unter
dem Namen einer Universitätsreform in Permanenz zusammenfaßt, sind bereits ver-
wirklicht worden. Die Verwirklichung anderer steht bevor. Zugleich aber wurde dar-
über das eigentliche geistig-politische Ziel der Reform aus den Augen verloren. Denn als
selbstverständlich wird zumeist vorausgesetzt, was gerade das Fragwürdigste ist. Doch
es rächt sich stets, die zweiten und folgenden Schritte vor dem ersten und unbequem-
sten Schritt zu tun. Nicht den technisch-organisatorischen Einzelproblemen, sondern
dem Reformprinzip am Maßstab der Idee der Universität selber gebührt der Vorrang.
Die vom Staat heute anerkannte Notwendigkeit der Reform, gleichviel in welcher
Gestalt sie vorgenommen wird, verlangt zu ihrer Verwirklichung große finanzielle Auf-
Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]
| IV. Die mögliche Verwirklichung der
Universitätsreform
Die Notwendigkeit der Universitätsreform heute bietet die einmalige, zu ergreifende oder
zu versäumende Chance, die Gestalt einer neuen, dem Geist der modernen Wissen-
schaftlichkeit vollauf entsprechenden Universität zu verwirklichen. Was Humboldt be-
gonnen hatte, was in der Bildungsuniversität des vorigen Jahrhunderts jedoch nur in An-
sätzen versucht wurde, worüber dann die eigentliche Reform im Geiste des Humboldtschen
Konzeptes ausblieb, könnte heute Wirklichkeit werden. Dessen aber bedarf es zur Wah-
rung der Idee der Universität selber des Mutes, viele zur leeren Hülle gewordene, wenn
auch liebgewonnene Traditionsformen preiszugeben. Denn wahre Kontinuität der Idee
der Universität ist nur in und durch Verwandlung. Eine solche Reform bedingt zugleich
eine Reform unserer Wissenschafts- und Bildungsorganisation im ganzen, deren leben-
dige geistige, nach allen Seiten ausstrahlende Mitte die künftige Universität bilden sollte.
Diese Reform kann sich nicht in organisatorisch-technischen Verbesserungen der
Kapazitäts- und Leistungsmängel der bestehenden Universität erschöpfen. Wohlbe-
gründete organisatorisch-technische Verbesserungen sind zur Genüge für alle Bereiche
der Universität vorgeschlagen worden: zur Studienreform in einzelnen Disziplinen,
zur Neugestaltung des Prüfungswesens, zur Frage der Einführung des Tutorensystems
und im Zusammenhang damit zum Problem der Studentenwohnheime, dann zur Neu-
ordnung der Hierarchie des Lehrkörpers, zur Neuregelung des Kolleggeldwesens, zur
Verbesserung des ökonomischen und sozialen Status der Dozenten, zur Reform der
Verwaltung. In fast jedem dieser zahlreichen Vorschläge vermeinte man jeweils den
240 eigentlichen Schlüssel zur | Universitätsreform zu besitzen, da eben jedes Teilproblem
zum Problem des Strukturganzen hinführt.
Manche dieser partiellen Verbesserungsvorschläge, die man gemeinhin gern unter
dem Namen einer Universitätsreform in Permanenz zusammenfaßt, sind bereits ver-
wirklicht worden. Die Verwirklichung anderer steht bevor. Zugleich aber wurde dar-
über das eigentliche geistig-politische Ziel der Reform aus den Augen verloren. Denn als
selbstverständlich wird zumeist vorausgesetzt, was gerade das Fragwürdigste ist. Doch
es rächt sich stets, die zweiten und folgenden Schritte vor dem ersten und unbequem-
sten Schritt zu tun. Nicht den technisch-organisatorischen Einzelproblemen, sondern
dem Reformprinzip am Maßstab der Idee der Universität selber gebührt der Vorrang.
Die vom Staat heute anerkannte Notwendigkeit der Reform, gleichviel in welcher
Gestalt sie vorgenommen wird, verlangt zu ihrer Verwirklichung große finanzielle Auf-