Volk und Universität279
53
Die Universität ist eine eigene Welt. Daß sie Selbstverwaltung besitzt, der Staat nur als
Schutz und Kontrolle für sie wirkt, ist das juristische Zeichen dieser Freiheit. Ihre Wirk-
lichkeit als sich selbst bestimmende Korporation geht in unmittelbarer Überlieferung
bis in das Mittelalter zurück. Die ältesten deutschen Universitäten sind über ein hal-
bes Jahrtausend alt, Oxford, Cambridge, Paris noch älter.280 Die Idee aber kommt aus
mehr als Zwei jahrtausenden von den Griechen her zu uns.109
Welche Idee? Das Offenbarwerden der Wahrheit durch die gemeinschaftliche Ar-
beit von Forschern, die zugleich Lehrer sind. Die Aufgaben der Universität sind die
Wissenschaften. Diese werden aber nicht nur überliefert als die gewaltige Masse des
erworbenen Wissens, das in Arbeitsteilung zu verwalten nur eine Voraussetzung
bringt. Das Wesentliche ist, auf diesem Grunde voranzuschreiten, denn in den Wis-
senschaften ist alles Erworbene nur eine Stufe. Die wissenschaftliche Denkungsart ist
zu vertiefen, das gegenwärtig mögliche Grundwissen ist zur höchsten Einfachheit zu
bringen, und mit allem ist das hellste im Zeitalter erreichbare Bewußtsein zu entfal-
ten. Die Hochschule soll der Ort sein, wo in der Einheit des Kosmos der Wissenschaf-
ten das unbefangenste Denken und das reinste Erkennen Wirklichkeit wird. Die Hoch-
schule schafft an dem geistigen Raum, in dem wir gemeinsam leben. Das ist die Idee.
Und warum jene Eigenständigkeit der Universitätswelt und die Forderung ihrer Frei-
heit vom Staat und allen andern Mächten? Weil das geistige Leben in den Wissenschaf-
ten nur dann gedeiht, wenn die schaffende Persönlichkeit nicht eingeschränkt wird,
weder durch eine Zwecksetzung von außen noch durch vor |herige Festsetzung dessen,
was als Wahrheit herauskommen soll. Keine der wissenschaftsfeindlichen Mächte, die
jederzeit aus der Realität des Lebens für ihre Interessen die Wahrheit unter Bedingun-
gen stellen und damit abbiegen möchten, sollen die Universität unter Druck setzen
dürfen. Freiheit aber wird an der Universität jedem Einzelnen, dem forschenden Do-
zenten wie dem lernenden Studenten, gewährt.
Der Forscher stellt sich selbst die Aufgaben und entscheidet über die Wege, die er
zu ihrer Lösung geht. Damit schöpferische Forscher erwachsen, muß in Kauf genom-
men werden, daß gelegentlich Ungeeignete, von denen man falsche Erwartungen
hatte, durch ihre Freiheit in Dogmatismen toter Lehre oder in unfruchtbare Launen
verfallen.
Der Student hat grundsätzlich Studierfreiheit. Er ist nicht mehr Schüler, sondern
reif und Bürger der Hochschule. Damit Männer der Wissenschaft entstehen, selbstän-
dige Persönlichkeiten, müssen Jünglinge gewagt werden.80 Sie haben die Freiheit, zu
54
53
Die Universität ist eine eigene Welt. Daß sie Selbstverwaltung besitzt, der Staat nur als
Schutz und Kontrolle für sie wirkt, ist das juristische Zeichen dieser Freiheit. Ihre Wirk-
lichkeit als sich selbst bestimmende Korporation geht in unmittelbarer Überlieferung
bis in das Mittelalter zurück. Die ältesten deutschen Universitäten sind über ein hal-
bes Jahrtausend alt, Oxford, Cambridge, Paris noch älter.280 Die Idee aber kommt aus
mehr als Zwei jahrtausenden von den Griechen her zu uns.109
Welche Idee? Das Offenbarwerden der Wahrheit durch die gemeinschaftliche Ar-
beit von Forschern, die zugleich Lehrer sind. Die Aufgaben der Universität sind die
Wissenschaften. Diese werden aber nicht nur überliefert als die gewaltige Masse des
erworbenen Wissens, das in Arbeitsteilung zu verwalten nur eine Voraussetzung
bringt. Das Wesentliche ist, auf diesem Grunde voranzuschreiten, denn in den Wis-
senschaften ist alles Erworbene nur eine Stufe. Die wissenschaftliche Denkungsart ist
zu vertiefen, das gegenwärtig mögliche Grundwissen ist zur höchsten Einfachheit zu
bringen, und mit allem ist das hellste im Zeitalter erreichbare Bewußtsein zu entfal-
ten. Die Hochschule soll der Ort sein, wo in der Einheit des Kosmos der Wissenschaf-
ten das unbefangenste Denken und das reinste Erkennen Wirklichkeit wird. Die Hoch-
schule schafft an dem geistigen Raum, in dem wir gemeinsam leben. Das ist die Idee.
Und warum jene Eigenständigkeit der Universitätswelt und die Forderung ihrer Frei-
heit vom Staat und allen andern Mächten? Weil das geistige Leben in den Wissenschaf-
ten nur dann gedeiht, wenn die schaffende Persönlichkeit nicht eingeschränkt wird,
weder durch eine Zwecksetzung von außen noch durch vor |herige Festsetzung dessen,
was als Wahrheit herauskommen soll. Keine der wissenschaftsfeindlichen Mächte, die
jederzeit aus der Realität des Lebens für ihre Interessen die Wahrheit unter Bedingun-
gen stellen und damit abbiegen möchten, sollen die Universität unter Druck setzen
dürfen. Freiheit aber wird an der Universität jedem Einzelnen, dem forschenden Do-
zenten wie dem lernenden Studenten, gewährt.
Der Forscher stellt sich selbst die Aufgaben und entscheidet über die Wege, die er
zu ihrer Lösung geht. Damit schöpferische Forscher erwachsen, muß in Kauf genom-
men werden, daß gelegentlich Ungeeignete, von denen man falsche Erwartungen
hatte, durch ihre Freiheit in Dogmatismen toter Lehre oder in unfruchtbare Launen
verfallen.
Der Student hat grundsätzlich Studierfreiheit. Er ist nicht mehr Schüler, sondern
reif und Bürger der Hochschule. Damit Männer der Wissenschaft entstehen, selbstän-
dige Persönlichkeiten, müssen Jünglinge gewagt werden.80 Sie haben die Freiheit, zu
54