Die Idee der Universität [1946]
Drittes Kapitel
Bildung
127
Bildung ist ein erworbener Zustand. Gebildet heißt der Mensch, der einem bestimm-
ten geschichtlichen Ideal entsprechend geprägt ist. Ihm ist ein Ganzes von Vorstel-
lungsweisen, Bewegungen, Wertungen, Sprechweisen und Fähigkeiten zur zweiten Na-
tur geworden.13 Gebildet ist der Grieche in seiner Kalokagathie,14 der Römer in seiner
Haltung, die das decorum und honestum226 wahrt, der Engländer als Gentleman. Die
Bildungsideale haben ihre Weise nach dem Stande, aus dem sie kamen (Ritter, Priester,
Mönch, Bürger), nach der geistigen Sphäre, die bestimmend wurde (Weltmann, Künst-
ler und Dichter, Forscher), nach dem herrschenden Sachgebiet (das musisch-gymna-
sische Geprägtsein, das scholastische Wissen und Können, die sprachlich-literarische
Bildung, das technisch-naturwissenschaftliche Können), schließlich nach der Insti-
tution, in der die Bildung erworben wurde (Gymnasium, öffentliches Leben der
Agora,18 Fürstenhof, Salon, Universität). Gemeinsam ist den Bildungsidealen der Sinn
für Form und Selbstbeherrschung, auch der Sinn dafür, daß durch Uebung die Bildung
zur zweiten Natur werden müsse, als ob alles angeboren und nicht erworben sei.
Nicht Bildung, sondern nur ein Moment der Bildung ist das, was man Fachbildung
(im Gegensatz zur allgemeinen Bildung) nannte, die Ausbildung zur Fertigkeit für ei-
nen bestimmten Beruf, der ein besonderes Wissen und Geschicklichkeit verlangt.
Nicht Bildung, sondern eine Folge der Bildung ist die Berechtigung, die soziolo-
gisch privilegiert. Im hellenistischen Ägypten machte die Ausbildung als Ephebe11
im Gymnasium zum Griechen, der allein berechtigt war zu kommunalen Ämtern; man
führte Listen über die gymnasisch Gebildeten. Der Chinese gewann durch Examina
das Vorrecht, der Literatenschicht anzugehören und Mandarin12 zu werden. Bei uns
heißt gebildet, wer die Zeugnisse der höheren Schulen, früher nur des humanistischen
Gymnasiums, besitzt. Ohne dies Abiturientenzeugnis ist die aka|demische Ausbildung 34
nicht zugänglich, die ihrerseits die Berechtigung zu bestimmten Berufen verleiht.
Zuweilen hat ein ganzes Volk das Bildungsideal eines Standes als das seine empfun-
den und zum allgemeinen gemacht. So wurde der geprägte und einheitliche Habitus
des englischen Gentleman und des Franzosen möglich, während in Deutschland kein
Stand ein Bildungsideal mit suggestiver Kraft entwickelt hat, darum der Deutsche als
solcher ungebildet, Barbar, seine Bildung eine persönliche des Einzelnen ist.16
Soweit an der Universität eine Bildung entsteht, ist sie wissenschaftliche Bildung.
Diese ist bestimmt durch die Haltung der Wissenschaftlichkeit überhaupt und durch
den Gehalt der Wissenschaften, die in der Bildung im Vordergründe stehen.
Die Haltung der Wissenschaftlichkeit ist mehr als Fachwissen und Fachkönnen. Sie
ist die Fähigkeit, zugunsten objektiver Erkenntnis die eigenen Wertungen für je einen
Drittes Kapitel
Bildung
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Bildung ist ein erworbener Zustand. Gebildet heißt der Mensch, der einem bestimm-
ten geschichtlichen Ideal entsprechend geprägt ist. Ihm ist ein Ganzes von Vorstel-
lungsweisen, Bewegungen, Wertungen, Sprechweisen und Fähigkeiten zur zweiten Na-
tur geworden.13 Gebildet ist der Grieche in seiner Kalokagathie,14 der Römer in seiner
Haltung, die das decorum und honestum226 wahrt, der Engländer als Gentleman. Die
Bildungsideale haben ihre Weise nach dem Stande, aus dem sie kamen (Ritter, Priester,
Mönch, Bürger), nach der geistigen Sphäre, die bestimmend wurde (Weltmann, Künst-
ler und Dichter, Forscher), nach dem herrschenden Sachgebiet (das musisch-gymna-
sische Geprägtsein, das scholastische Wissen und Können, die sprachlich-literarische
Bildung, das technisch-naturwissenschaftliche Können), schließlich nach der Insti-
tution, in der die Bildung erworben wurde (Gymnasium, öffentliches Leben der
Agora,18 Fürstenhof, Salon, Universität). Gemeinsam ist den Bildungsidealen der Sinn
für Form und Selbstbeherrschung, auch der Sinn dafür, daß durch Uebung die Bildung
zur zweiten Natur werden müsse, als ob alles angeboren und nicht erworben sei.
Nicht Bildung, sondern nur ein Moment der Bildung ist das, was man Fachbildung
(im Gegensatz zur allgemeinen Bildung) nannte, die Ausbildung zur Fertigkeit für ei-
nen bestimmten Beruf, der ein besonderes Wissen und Geschicklichkeit verlangt.
Nicht Bildung, sondern eine Folge der Bildung ist die Berechtigung, die soziolo-
gisch privilegiert. Im hellenistischen Ägypten machte die Ausbildung als Ephebe11
im Gymnasium zum Griechen, der allein berechtigt war zu kommunalen Ämtern; man
führte Listen über die gymnasisch Gebildeten. Der Chinese gewann durch Examina
das Vorrecht, der Literatenschicht anzugehören und Mandarin12 zu werden. Bei uns
heißt gebildet, wer die Zeugnisse der höheren Schulen, früher nur des humanistischen
Gymnasiums, besitzt. Ohne dies Abiturientenzeugnis ist die aka|demische Ausbildung 34
nicht zugänglich, die ihrerseits die Berechtigung zu bestimmten Berufen verleiht.
Zuweilen hat ein ganzes Volk das Bildungsideal eines Standes als das seine empfun-
den und zum allgemeinen gemacht. So wurde der geprägte und einheitliche Habitus
des englischen Gentleman und des Franzosen möglich, während in Deutschland kein
Stand ein Bildungsideal mit suggestiver Kraft entwickelt hat, darum der Deutsche als
solcher ungebildet, Barbar, seine Bildung eine persönliche des Einzelnen ist.16
Soweit an der Universität eine Bildung entsteht, ist sie wissenschaftliche Bildung.
Diese ist bestimmt durch die Haltung der Wissenschaftlichkeit überhaupt und durch
den Gehalt der Wissenschaften, die in der Bildung im Vordergründe stehen.
Die Haltung der Wissenschaftlichkeit ist mehr als Fachwissen und Fachkönnen. Sie
ist die Fähigkeit, zugunsten objektiver Erkenntnis die eigenen Wertungen für je einen