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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0475
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Die Idee der Universität. Für die gegenwärtige Situation entworfen [1961]

i9i | II. Die Struktur von Forschung und Lehre

IN DER KÜNFTIGEN UNIVERSITÄT

1. Der Forschungs- und Lehrcharakter der Universität
gegenüber dem bloßen Unterricht
Wilhelm von Humboldts Universitätskonzeption bildet heute noch das tragfähige
Fundament einer dem Geist der modernen Wissenschaftlichkeit allein angemessenen
Gestalt der Universität. Denn sie hat einen verbindlichen Begriff der modernen Wis-
senschaft, gleichweit entfernt von technologischer Verengung wie von idealistischer
Ganzheitsillusion, zur Voraussetzung. Es ist die Voraussetzung der Autonomie der mo-
dernen Wissenschaft und deren verbindlicher philosophischer Begründung durch
Kant. Mit Kant begriff Wilhelm von Humboldt den Forschungscharakter der moder-
nen Wissenschaft und erkannte zugleich ihre Angewiesenheit auf Forschungsinstitute.
Die schlechthin revolutionäre Bedeutung seines Konzeptes besteht darin, daß es
an die Stelle des früheren Lehrer-Gelehrten den Forscher als Lehrer und an die Stelle
der Ausbildung der Studierenden durch bloße Unterrichtung und Schulung das freie
Studium durch die Teilnahme des Studierenden am institutionellen Forschungsbetrieb
treten ließ. Aus dem Schüler der scholastischen Gelehrtenrepublik, dem Scholaren,
wurde nunmehr erst dem Prinzip nach der Student.
Für alle weiteren Erörterungen ist dieser grundsätzliche Unterschied von Lehre und
Unterricht zu bestimmen und im Sprachgebrauch festzuhalten:
Lehre ist der Umgang des Forschers mit den Studenten in Vorlesungen, Übungen, Se-
minaren, Kolloquien, bei denen der Student an den Methoden des Forschers teilzuneh-
men lernt. Er erfährt die Denkungsart des Lehrers, wird ergriffen von den Antrieben des
Wissenwollens, von den Ideen, die unbestimmbar das Leben des Geistes bewegen.
192 | Unterricht ist die Mitteilung eines geschlossenen Wissensstoffes, die Einübung
technischer Verfahrensweisen, die didaktische Kunst, ein je gewonnenes Ganzes an Er-
kennen und Können in die faßlichste Gestalt zu bringen, in Lehrbüchern darzustellen.
Lehre und Unterricht haben je ihr eigenes Gewicht. Ein großer Forscher, der teil-
nehmen läßt an den Bewegungen seines Forschens, ist keineswegs immer auch zu gu-
tem Unterricht fähig. Was er bringt, ist thematisch partikular, während er sich am
Grunde des Erkennens bewegt. Wer einen guten Unterricht gestaltet, leistet etwas auf
andere Weise Schöpferisches: die Ordnung des von der Erkenntnis Gewonnenen, die
Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen, die Formung zur einfachsten
Verstehbarkeit.
 
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