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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0233
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158

Die Idee der Universität [1946]

Siebentes Kapitel
Der Kosmos der Wissenschaften

Die Wissenschaften sind zuerst aus der Praxis erwachsen, und zwar aus der Heil-
kunst, der Feldmeßkunst, den Werkstätten der Bauleute und Maler, der Schiffahrt.
74 Daß alle Wissenschaften zusammengehören, ist eine philosophische Idee. Erst aus
ihr entspringt die Einheit der Wissenschaften als die Aufgabe, das Ganze des Wis-
sens zu gestalten. Damit beginnt das Zusammenwirken aller Wissenschaften auf
ein Ziel hin.
Der uralte praktische Unterricht denkt als solcher nicht an das Ganze der Wissen-
schaften, nicht an die Reinheit des Wissens, sondern nur an die besonderen Erforder-
nisse des Könnens für den jeweiligen Beruf. Der wissenschaftliche Unterricht im Sinne
der Universität dagegen will in den Grund des Wissens führen durch die Idee des ei-
nen Wissens. Er läßt die besondere Praxis ihre Wurzeln finden in der Wissenschaft-
lichkeit im Ganzen, sowohl wegen der Tiefe des dadurch aufgehenden Sinns als auch
wegen der Erweiterung des möglichen Könnens.
Die Universität hat jederzeit die Aufgabe, den Forderungen der praktischen Berufe
zu genügen und gleicht insofern den alten praktischen Schulen. Aber die Universität
bringt das grundsätzlich Neue, daß sie diese Forderungen erfüllt durch Aufnahme in
das Umgreifende des Wissens überhaupt.
Von der einen Seite her kann die Universität daher aussehen wie ein Aggregat von
Schulen, die sich gegenseitig nichts angehen, oder auch wie ein geistiges Warenhaus,
in dessen Fülle an Angebot ein jeder sich erwerben mag, was er will. Von der andern
Seite aber bedeutet dieser Aspekt nur den Vordergrund, der Verfall wäre, wenn er zur
wirklichen Struktur der Universität würde. Vielmehr ist die Universität die Erfüllung
des Wissenkönnens in seinem weitesten Umfang aus der Einheit der Wissenschaften
als einem Ganzen.
Dieses Ganze aber ist Problem. Es ist die Frage nach der sinnvollen Einteilung der
Wissenschaften. Die Einteilung scheint in der Universität repräsentiert durch die Glie-
derung in Fakultäten. Die Einteilung der Wissenschaften und die Ressorts der Fakul-
täten müssen zueinander in Beziehung stehen. Aber die beiden Gliederungen fallen
keineswegs zusammen.
Auf die Frage, welche Wissenschaften es gebe, ist eine erste Antwort zu erhalten
durch den Vorlesungskatalog einer großen Universität. Dort finden sich, angeordnet
nach Fakultäten, dann innerhalb der Fakultäten zum Teil nach Sachgebieten, fast un-
übersehbar aneinandergereihte Themata. Man sieht, daß dieses Ganze des Vorlesungs-
75 katalogs nicht nach einem Plan entworfen, | sondern daß es historisch in immer wei-
terer Ausbreitung entstanden ist.
 
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