Die Idee der Universität [1946]
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werden sie möglichst zweckmäßig gestaltet und mit Lust durchgeführt, bis sie zur zwei-
ten Natur werden. Das erweitert die Freiheit.
In jeder Institution gibt es Über- und Unterordnung. Es sollen nicht nur die fakti-
schen Niveauunterschiede der Menschen anerkannt werden. Jede zweckhafte Einrich-
tung ist ohne Leitung undenkbar. So finden sich ursprünglich frei die Schüler um ei-
nen Forscher zusammen, so herrscht später institutionell der Direktor über sein
wissenschaftliches Institut und seine Assistenten. Es liegt auf der Hand, daß solche
Herrschaft immer nur dann erträglich und sogar ersehnt ist, wenn der Erste der gei-
stigste Mensch ist. Das sind in dauernden Institutionen Glücksfälle. Unerträglich wird
die Herrschaft der Kümmerlichen, die ihre Geistlosigkeit und die Unzufriedenheit mit
sich selbst ausgleichen wollen durch den Genuß einer Herrschaft. Vortrefflich | sind
die produktiven Köpfe, die zur Leitung eines Institutes berufen, doch im Bewußtsein
ihrer begrenzten Kräfte jedem lebendigen Impuls der ihnen Unterstellten Freiheit las-
sen und ihren Ehrgeiz darin sehen, daß diese Besseres leisten möchten als sie selbst.
Die Institution als solche kann nie befriedigen. Das abstrakte Erdenken und Ein-
richten komplizierter Verhältnisse ist ein Verderben. Die Einfachheit ist das Schwer-
ste, die vorschnelle Einfachheit allerdings ist nur Simplifikation.
So sind bei den konkreten Schwierigkeiten die einfachen Trennungen durchweg
keine Lösungen, sondern Zerstörungen, so z.B. die Trennung von Forschungsanstalt
und Lehrinstitut, von Wissenschaft und Beruf, von Bildung und Fach, des Unterrichts
der Besten vom Unterricht der Menge. Immer ist das wahre geistige Leben gerade dort,
wo eins im andern ist, nicht wo das eine neben dem andern ist. Und diese Einheiten
werden immer nur durch Persönlichkeiten verwirklicht.
In der Polarität von Persönlichkeit und Institution entstehen die entgegengesetzten
Abgleitungen: einerseits Persönlichkeitskultus, Betonung der Originalität und des Ei-
genwillens, andererseits das Machen von Einrichtungen, die vergewaltigen oder leer lau-
fen. In beiden Fällen herrscht Willkür, weil Zufall und das Belieben von Abschaffen und
Neumachen. An der Universität herrscht eine schwer formulierbare Gesinnung, die sich
diesen beiden Extremen fernzuhalten sucht, eine Toleranz gegen Wunderlichkeiten des
Einzelnen, eine Aufnahmefähigkeit für fremde Persönlichkeiten, eine Gemeinschaft-
lichkeit, in der sich die Extremsten begegnen. Weil aber die persönliche Gestalt immer
das Übergreifende und die Verwirklichung der Idee ist, gilt auch ohne Kultus die Persön-
lichkeit als solche. Man empfindet den Rang und das Verdienst, man hat Pietät dem Al-
ter gegenüber. Und der Einzelne wird Wert darauf legen, seiner Fakultät ein erwünsch-
tes Mitglied zu sein, er will von ihr frei erwählt, nicht ihr aufoktroyiert sein.
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werden sie möglichst zweckmäßig gestaltet und mit Lust durchgeführt, bis sie zur zwei-
ten Natur werden. Das erweitert die Freiheit.
In jeder Institution gibt es Über- und Unterordnung. Es sollen nicht nur die fakti-
schen Niveauunterschiede der Menschen anerkannt werden. Jede zweckhafte Einrich-
tung ist ohne Leitung undenkbar. So finden sich ursprünglich frei die Schüler um ei-
nen Forscher zusammen, so herrscht später institutionell der Direktor über sein
wissenschaftliches Institut und seine Assistenten. Es liegt auf der Hand, daß solche
Herrschaft immer nur dann erträglich und sogar ersehnt ist, wenn der Erste der gei-
stigste Mensch ist. Das sind in dauernden Institutionen Glücksfälle. Unerträglich wird
die Herrschaft der Kümmerlichen, die ihre Geistlosigkeit und die Unzufriedenheit mit
sich selbst ausgleichen wollen durch den Genuß einer Herrschaft. Vortrefflich | sind
die produktiven Köpfe, die zur Leitung eines Institutes berufen, doch im Bewußtsein
ihrer begrenzten Kräfte jedem lebendigen Impuls der ihnen Unterstellten Freiheit las-
sen und ihren Ehrgeiz darin sehen, daß diese Besseres leisten möchten als sie selbst.
Die Institution als solche kann nie befriedigen. Das abstrakte Erdenken und Ein-
richten komplizierter Verhältnisse ist ein Verderben. Die Einfachheit ist das Schwer-
ste, die vorschnelle Einfachheit allerdings ist nur Simplifikation.
So sind bei den konkreten Schwierigkeiten die einfachen Trennungen durchweg
keine Lösungen, sondern Zerstörungen, so z.B. die Trennung von Forschungsanstalt
und Lehrinstitut, von Wissenschaft und Beruf, von Bildung und Fach, des Unterrichts
der Besten vom Unterricht der Menge. Immer ist das wahre geistige Leben gerade dort,
wo eins im andern ist, nicht wo das eine neben dem andern ist. Und diese Einheiten
werden immer nur durch Persönlichkeiten verwirklicht.
In der Polarität von Persönlichkeit und Institution entstehen die entgegengesetzten
Abgleitungen: einerseits Persönlichkeitskultus, Betonung der Originalität und des Ei-
genwillens, andererseits das Machen von Einrichtungen, die vergewaltigen oder leer lau-
fen. In beiden Fällen herrscht Willkür, weil Zufall und das Belieben von Abschaffen und
Neumachen. An der Universität herrscht eine schwer formulierbare Gesinnung, die sich
diesen beiden Extremen fernzuhalten sucht, eine Toleranz gegen Wunderlichkeiten des
Einzelnen, eine Aufnahmefähigkeit für fremde Persönlichkeiten, eine Gemeinschaft-
lichkeit, in der sich die Extremsten begegnen. Weil aber die persönliche Gestalt immer
das Übergreifende und die Verwirklichung der Idee ist, gilt auch ohne Kultus die Persön-
lichkeit als solche. Man empfindet den Rang und das Verdienst, man hat Pietät dem Al-
ter gegenüber. Und der Einzelne wird Wert darauf legen, seiner Fakultät ein erwünsch-
tes Mitglied zu sein, er will von ihr frei erwählt, nicht ihr aufoktroyiert sein.
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